Zentral oder dezentral? Recruiting in internationalen Unternehmen

Flaggen vor einem Bürogebäude: Wie sollte internationales Recruiting organisiert sein: zentral oder dezentral? Internationales Recruiting
Foto: Kaung Myat Min, Unsplash

Unternehmen können ihr Recruiting zentral oder dezentral organisieren. Welche Vor- und Nachteile die jeweilige Organisationsform hat, beschreibt Johanna Wagner im Interview. Sie ist Head of HR bei EDITEL, einem Spezialisten für Supply-Chain-Prozesse mit Sitz in Österreich und Niederlassungen in sieben weiteren Ländern. Johanna Wagner hat in der Vergangenheit in Konzernen der Tourismus-, IT- und Medizintechnikbranche – sowohl in dezentralen als auch in zentralen Recruitingstrukturen – gearbeitet und kennt die Vor- und Nachteile der jeweiligen Organisationsform. Um auch zukünftige Personalist:innen mit dem Thema vertraut zu machen, hält sie Gastvorträge über internationales Recruiting an der FH Wien der WKW.

Johanna Wagner (Foto Katharina Schiffl)
Johanna Wagner (Foto: Katharina Schiffl)

Frau Wagner, im Recruiting wollen Unternehmen die besten Talente für sich gewinnen. Gelingt das besser mit einer zentralen oder einer dezentralen Organisation?

Ein zentrales Recruiting bietet den Vorteil, dass Unternehmen ihr Employer Branding einheitlich und gegebenenfalls auch länderübergreifend etablieren können, was das Unternehmensimage stärkt. So steigt die Wahrscheinlichkeit, neue Bewerber:innen anzuziehen und den Talentpool zu erweitern. Wenn Unternehmen dann noch über moderne Recruitingtools und eine gemeinsame Datenbank verfügen, können sie gezielt Kandidatinnen und Kandidaten für Fachbereiche in unterschiedlichen Ländern ansprechen und rekrutieren. Hinzu kommt, dass ein zentrales Recruiting den Umgang mit Daten erleichtert. Wenn Unternehmen die Recruitingdaten zentral analysieren, können sie Ergebnisse besser analysieren und das Reporting optimieren.

Wo liegen die Nachteile eines zentralen Recruitings?

Ein klarer Nachteil ist der reduzierte persönliche Kontakt. In einem zentral organisierten Hiring-Setup haben Recruiter:innen kaum persönlichen Kontakt zu den Bewerberinnen und Bewerbern, was letztendlich zu einer Verschlechterung der Candidate Experience führen kann. Unternehmen laufen auch Gefahr, die Entscheidungsprozesse zu verlängern, weil zentrale Organisation oft verschiedene Schnittstellen, Hierarchien und Policies mit sich bringt. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sich Bewerber:innen für ein anderes Angebot entscheiden. Ein weiteres Risiko ist, dass die Recruiter:innen in den Zentralen nicht genug über die Anforderungen der Stelle und die Erwartungen des lokalen Managements wissen. Hier geht es um Kommunikation und klare Absprachen.

Das heißt, lokal zu rekrutieren hat durchaus Vorteile?

Absolut. In einer dezentralen Struktur können die Recruitingteams vor Ort gezielter und schneller auf Bedürfnisse der Kandidatinnen und Kandidaten eingehen. Die Nähe im Bewerbungsprozess sehe ich klar als Vorteil. Folglich lässt sich auch schneller eine Entscheidung treffen und rascher auf Veränderungen in der Personalplanung reagieren. Lokales Know-how und das Arbeiten im Land vor Ort erleichtert es den Rekrutierenden, branchenspezifisches Wissen und Fachkenntnisse hinsichtlich Unternehmenskultur, Rolle oder Teamdynamiken aufzubauen und weiterzugeben.

Eignet sich ein dezentrales Recruiting auch in internationalen Organisationen?

Im internationalen Kontext bringt ein rein dezentrales Recruiting mehrere Herausforderungen mit sich: Die verschiedenen Länder können sich in der Personalbeschaffung nicht gut unterstützen, wenn einheitliche Rekrutierungsprozesse fehlen. Dann ist die Gefahr groß, dass sie sich nicht über Best Practices oder offene Vakanzen austauschen und stattdessen Silodenken entsteht. Sie nutzen Synergien zu wenig und lehnen zum Beispiel Personen ab, die in einer anderen Abteilung oder an einem anderen Standort einsetzbar gewesen wären.

Nehmen wir das Beispiel einer Vertriebsmitarbeiterin, die kein Deutsch, aber Ungarisch und Rumänisch spricht. Sie könnte in einem CEE-Land sehr gut arbeiten, wird aber von der österreichischen Zentrale abgelehnt. Solche Strukturen benachteiligen dann Niederlassungen, die viele hochqualifizierte Mitarbeiter:innen benötigen, es aber aus eigener Kraft oft nicht schaffen, ihren Bedarf so gut zu denken wie in einer vernetzten, zentralen Organisation.

Ein weiterer großer Nachteil des dezentralen Recruitings im internationalen Kontext betrifft das Reporting: Rekrutierungsprozesse lassen sich in einer dezentralen Struktur nicht gut messen und vergleichen. Dies wiederum erschwert Entscheidungen und Optimierungen auf globaler Ebene.

Wenn dezentrale und zentrale Recruitingstrukturen jeweils Vor- und Nachteile haben: Inwieweit ist eine Kombination sinnvoll?

In vielen Fällen kann tatsächlich eine Kombination beider Ansätze sinnvoll sein, um die Stärken der Modelle zu nutzen und mögliche Schwächen auszugleichen. So könnten Organisationen globale Rekrutierungsstandards entwickeln oder gemeinsame Rekrutierungsplattformen verwenden. Schon der verstärkte Austausch bewährter Praktiken zwischen den Ländern kann für einen ersten Schritt in Richtung Zentralisierung hilfreich sein.

Worauf sollten Unternehmen darüber hinaus achten, wenn sie zentrale Strukturen im Recruiting etablieren wollen?

Sie sollten zuallererst die aktuelle Situation des Recruitings analysieren – also alle Methoden, Prozesse und Tools, die im Einsatz sind. Zweitens ist es wichtig, die Unternehmens- und die Personalstrategie zu definieren: Wo brauche ich wann welche Mitarbeiter:innen mit welchen Kompetenzen? Die Entscheidung für ein zentralisiertes Recruiting müssen die Verantwortlichen auf Basis der Unternehmensziele treffen – und für die Umsetzung alle erforderlichen Ressourcen hinsichtlich Zeit, Budget, Personal und Technologie bedenken.

Im dritten Schritt geht es darum, einheitliche Standards festzulegen, also konsistente Richtlinien zu entwickeln, die in allen Ländern gelten. Das bezieht sich auf die Kommunikation der Stellenausschreibungen, auf Interviewleitfäden und Auswahlkriterien. Begleitend dazu muss auch der Wissenstransfer an das zentrale Rekrutierungsteam erfolgen. Alle Teammitglieder müssen auf die neuen Standards geschult werden und diese auch entsprechend umsetzen. Nur so erreicht man eine einheitliche Candidate Experience.

Wo entsteht idealerweise der zentrale Recruitinghub?

Diese Entscheidung ist unmittelbar mit der Kostenfrage verbunden: Das zentrale Recruiting muss nicht unbedingt im Headquarters angesiedelt sein, sondern vielmehr da, wo das Unternehmen Kosten einsparen und laut Personalstrategie mehr Mitarbeiter:innen einstellen möchte. Wenn es zum Beispiel in Tschechien, der Slowakei und Ungarn wachsen will, könnte der Recruitinghub in Prag sein.

Ein solches Projekt macht nicht allen Freude. Wie gelingt es, die Verantwortlichen ins Boot zu holen?

Um dieses Setting langfristig in der Organisation zu implementieren, braucht es professionelles Stakeholder Management. Mit dem Begriff Stakeholder meine ich neben dem Top-Management all jene, die über kurz oder lang in einen Recruitingprozess involviert sind, also alle Führungskräfte inklusive der aktuellen „Hiring Manager“ und das gesamten HR-Team. Eine klare Kommunikation und Abstimmung mit dem Leadership-Team, was die Neuerungen der Recruitingstrukturen oder die nächsten Implementierungsschritte betrifft, ist essenziell. Jede Veränderung muss die Unternehmensspitze mittragen, damit sich die neue Organisationsform auch top-down umsetzen lässt. Die Entscheidungsträger:innen einzubinden und regelmäßig zu informieren hilft, um Unterstützung und Akzeptanz zu erreichen. 

Was ist in der Implementierungsphase zu beachten?

Während der Implementierungsphase ist es besonders wichtig, Feedback aus dem HR- und Recruitingteam sowie dem Management einzuholen. Auch die Perspektive der erst kürzlich eingestellten Mitarbeiter:innen sollte nicht vergessen werden, denn deren Erfahrung aus dem durchlaufenen Bewerbungsprozess kann für die Weiterentwicklung des bestehenden Setups sehr hilfreich sein und blinde Flecken im Prozess aufzeigen. Es empfiehlt sich, schrittweise von einem dezentralen auf ein zentrales Setup umzustellen, die Veränderungen in der Organisation gut abzustimmen und laufend Anpassungen vorzunehmen – zum Beispiel in Bereichen wie Kommunikation, bei der Evaluierung der genutzten Tools, aber auch im Recruitingprozess selbst.

Für einen organisatorischen Wandel ist es jedenfalls zentral, alle Beteiligten dazu zu ermutigen, sich auf die Veränderungen einzulassen und die Vorteile zu erkennen.   

Was sind die größten Stolpersteine bei einem solchen Vorhaben?

Im gesamten Prozess gibt es viele Hürden und Stolpersteine zu berücksichtigen. Besonders wichtig sind aus meiner Sicht die folgenden:

  • Unternehmen sollten sprachliche Barrieren berücksichtigen, wenn sie Kandidatinnen und Kandidaten in verständlicher Sprache ansprechen und Missverständnisse wegen kultureller Gegebenheiten vermeiden wollen. Hier empfiehlt es sich besonders, Recruiter:innen hinsichtlich interkultureller Kompetenzen und Anti-Bias-Themen zu schulen.
  • Die Wahl der richtigen Technologie kann herausfordernd sein. Denn diese sollte den Bewerbungs- und Auswahlprozess unterstützen sowie ein gutes Reporting ermöglichen.
  • Auswahlkriterien und Interviewtechniken müssen in einem zentralen Recruiting vereinheitlicht und so gestaltet sein, dass niemand benachteiligt wird. Das ist nicht trivial, da wir im internationalen Recruiting mit verschiedenen Qualitätsstandards bei Bildungsabschlüssen und beruflichen Qualifikationen konfrontiert sind.
  • Zeitzonen können die Koordination von Interviews und die Kommunikation erschweren. Hier ist Flexibilität in der Ansprache der Kandidaten und Kandidatinnen gefragt.
  • Zusätzliche Kosten können eine weitere Hürde darstellen. Sie entstehen beispielsweise für Agenturen, die Background-Checks durchführen oder für Reisen internationaler Bewerber:innen.
  • Zudem kann das Onboarding von Mitarbeitenden aus verschiedenen Ländern das zentrale Recruiting erschweren. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Unternehmen die Bedürfnisse der Neueinsteiger:innen nicht berücksichtigen, die sich in einem neuen Land erst einmal eingewöhnen müssen. Um ein möglichst reibungsloses Onboarding sicherzustellen, sollten Unternehmen lokale HR-Teams interkulturell sensibilisieren und systematisierte Onboarding-Programme aufsetzen.

Haben Sie noch eine persönliche Empfehlung für den Aufbau eines zentralen Recruitings?

Welche Organisationsform am besten passt, hängt letztlich von Faktoren wie Branche, Unternehmensgröße und -kultur sowie von den strategischen Zielen oder dem Reifegrad einer Organisation ab. Das heißt, Unternehmen sollten sich das individuell sehr gut ansehen und ihr Recruiting dann entsprechend optimieren.

Bei der EDITEL Group nutzen wir derzeit noch die Vorteile der Marktnähe eines dezentralen Recruitings in unseren Niederlassungen. Wir haben aber auch schon erste zentrale Strukturen geschaffen. In Hinblick auf eine stärkere Arbeitgebermarke und eine noch höhere Wettbewerbsfähigkeit wollen wir das Beste aus beiden Ansätzen nutzen und unser Recruiting künftig verstärkt zentralisieren. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits getan.

Interview: Bettina Geuenich

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

Bettina Geuenich

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

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