Mensch und Maschine: Was leistet künstliche Intelligenz in der Personalarbeit?

Wie Unternehmen künstliche Intelligenz sinnvoll nutzen können und was aktuell die Hürden dabei sind, erklärt Clemens Wasner im Interview. Er ist CEO von EnliteAI, einem auf die Anwendung von AI spezialisierten Unternehmen, und Gründer von AI Austria, einem Thinktank, der Österreich als Vorreiter für KI-Anwendungen etablieren will.
Herr Wasner, seit Einführung von ChatGPT ist ein regelrechter Hype um künstliche Intelligenz ausgebrochen. Was macht diese Anwendung so besonders?
Mit ChatGPT ist zum ersten Mal eine KI-Lösung für Endkundinnen und -kunden an den Start gegangen, die viele Menschen erreicht. Zuvor hatten wir es ganz überwiegend mit B2B-Lösungen zu tun, wenn wir einmal von Alexa oder Siri absehen. ChatGPT ist in der Basisversion kostenlos und von der Verwendung her nicht anders als eine Suchmaschine, in die man Text eingibt und etwas herausbekommt. Dass eine KI so leicht verfügbar ist, das ist das eigentlich Revolutionäre daran.
Was sind aktuell die größten Anwendungsbereiche von künstlicher Intelligenz in Unternehmen?
Marketing und PR sind jetzt schon wichtige Einsatzbereiche. Hier geht es zum Beispiel darum, Bilder oder Texte für Social-Media-Postings oder Anzeigen zu erstellen und zu verbreiten. Der große Durchbruch ist dabei, dass ich als Anwender:in keine Urheberrechte mehr beachten muss. Und da die Tools wenig kosten, ist die Barriere sehr gering, sie einzusetzen. Mittlerweile gibt es einige Open-Source-Anwendungen, wie Lama von Facebook, die Firmen trainieren können, zum Beispiel um Bots für das interne Wissensmanagement aufzubauen. Wenn Mitarbeiter:innen eine Dienstreise nach Portugal planen, können sie über den Bot zum Beispiel herausfinden, wie die Tagessatz-Regelungen ausschauen und wie hoch die firmeninternen Budgets für Hotels und Dienstfahrten sind.
Aktuell sind viele Unternehmen aber noch zögerlich beim Einsatz von KI-Systemen – auch aufgrund der rechtlichen Hürden. Was müssen sie in dieser Hinsicht beachten?
Der European Artificial Intelligence Act, der aktuell noch in der Abstimmung ist, sieht unterschiedliche Risikoklassen vor. Ganz oben stehen Anwendungen, die verboten sind, zum Beispiel die biometrische Erkennung. Schon in der Stufe darunter sind Anwendungsbereiche angesiedelt, die große Auswirkungen auf das Leben von den Menschen haben. Dazu zählt neben finanziellen Themen (Kreditvergabe) auch das Personalwesen. Die Entscheidung, ob jemand in die nähere Auswahl für eine Stelle genommen wird, darf in letzter Instanz nicht durch einen Algorithmus passieren. Seit dem ersten Gesetzentwurf vom April 2021 ist bekannt, dass HR-Systeme so eingestuft werden, daher warten aktuell viele Unternehmen erst einmal ab bis es zertifizierte Lösungen gibt, bei deren Einsatz Rechtssicherheit besteht. Ich gehe davon aus, dass wir bereits im Laufe des kommenden Jahres solche Lösungen am Markt finden werden.
Viele Firmen geben in Studien an, dass ihnen das Know-how und Personal für KI-Anwendungen fehlt. Wie kommen Betriebe an Expertinnen und Experten für das Thema?
Jede Firma, die groß genug ist, eine HR-Abteilung zu haben, ist auch groß genug, mit künstlicher Intelligenz herumzuexperimentieren. Dafür brauche ich keine hochausgebildeten Expert:innen, es reichen Personen, die programmieren können. Das ist wahrscheinlich der größte Wandel: Unternehmen haben in der Vergangenheit bei technischen Veränderungen viel Geld ausgegeben, um diese mit externer Hilfe implementieren zu lassen. Jetzt beginnt eine Phase, in der das nötige Werkzeug leicht verfügbar ist und sie daher selbst experimentieren können. Das ist ähnlich wie bei der Einführung von Microsoft Office vor mehr als 30 Jahren. Es geht jetzt darum, Dinge zu testen und die eigene Mannschaft dabei zu ermutigen und mitzunehmen. Aktuell fehlt es noch an Erfahrungen und an Anwendungsbeispielen, die geteilt werden können. Aber das wird sich in den nächsten Jahren auch im Personalmanagement ändern.
Wie zuverlässig sind KI-Lösungen für das Personalmanagement heute schon?
Es ist in der Vergangenheit vorgekommen, dass KI-gestützte Recruitingverfahren diskriminiert haben, weil sie mit entsprechenden Datenpools trainiert wurden. Das kam 2017 bei Amazon und 2018 bei Google vor. Diese beiden Fälle haben die Befürchtung befeuert, dass KI-Systeme fehlerhaft sind – und das ist natürlich hinderlich bei einer Einführung solcher Technologien. Ich glaube aber – und es gibt Forschungsergebnisse, die das belegen –, dass ein AI-gestützter Interviewprozess in Zukunft immer bessere Ergebnisse liefern wird als das klassische Expert:inneninterview. Einer auf Herz und Nieren geprüften Maschine traue ich eher zu, dass sie unvoreingenommen Kandidat:innen vorschlagen kann als Menschen.
Aber auch Maschinen können nicht alles. Worin sind Menschen besser?
Bleiben wir beim Beispiel Personalauswahl. Hier sehe ich das Risiko, dass wir bei einer rein maschinellen Auswahl einen konformeren Pool an Kandidatinnen und Kandidaten bekommen. Es gibt unzählige Geschichten von extrem erfolgreichen Menschen, die keinen Universitätsabschluss haben. Sie würden bei einer maschinellen Auswahl, die sich an den formalen Kriterien orientiert, durch das Raster fallen. Wenn ich einige Menschen in die engere Wahl nehmen will, die nicht in das übliche Schema fallen, brauche ich Wissen, das eine KI nicht unbedingt hat. Ich muss zum Beispiel wissen, wie Teams ticken, wer sie positiv bereichern könnte und wie sich Aufgaben in Zukunft verändern. Das ist für eine KI schwer zu erlernen.
Wie könnten Mensch und Maschine – zum Beispiel im Recruiting – gut zusammenarbeiten?
Der Mensch muss der Maschine sehr genau sagen können, was das Unternehmen sucht. Das Schlimmste wäre, einen Prozess aufzusetzen, den der Mensch selbst nicht mehr steuern, kontrollieren und beeinflussen kann. Wenn wir einen Prozess gut aufsetzen, können Recruiterinnen und Recruiter der Maschine zum Beispiel sagen, dass sie zu 80 Prozent Menschen suchen soll, die alle formalen Job-Kriterien erfüllt, aber zu 20 Prozent einen anderen Typus. Schon jetzt lassen sich bestimmten Eigenschaften auch indirekt aus CVs herauslesen. Dass jemand proaktiv Dinge angeht, umtriebig ist und sich selbst einen eigenen Job schafft, lässt sich zum Beispiel auch aus privaten Projekten oder Initiativen erkennen. Das könnte eine künstliche Intelligenz bei entsprechendem Training herausfiltern.
Wenn Unternehmen künstliche Intelligenz einsetzen möchten: Was wären erste Schritte auf dem Weg?
Ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren: Es gibt so viele unterschiedliche Tools für diverse Fragestellungen. Zugleich müssen wir als Gesellschaft – und muss jedes Unternehmen für sich – herausfinden, was der beste Einsatz von KI ist. Wie will ich künstliche Intelligenz in der Personalarbeit verwenden? In rechtlicher Hinsicht ist der AI Act der EU zu beachten. im HR-Bereich wird daher kein Weg daran vorbeiführen, zertifizierte Lösungen zu kaufen, an denen die großen Anbieter schon heute arbeiten. Das gilt vor allem für Bereich wie die Personalauswahl. Wenn ich mein internes Wissensmanagement mithilfe von KI ausbauen will, dann kann ich schon jetzt loslegen. Denn in diesem Bereich habe ich nicht das Zertifizierungsproblem. Ich muss nur schauen, dass ich Lösungen verwende, die auch die Quellenangaben nennen und darauf verlinken, was zum Beispiel bei ChatGPT nicht der Fall ist.
Wie berechtigt ist die Angst, die in Umfragen immer wieder zum Ausdruck kommt, dass künstliche Intelligenz Jobs vernichtet?
In West- und Mitteleuropa sehe ich die Gefahr für Jobverlust weniger, weil wir Tätigkeiten, die typischerweise automatisiert werden, schon weitgehend in andere Länder ausgelagert haben. Stattdessen haben wir viele White-Collar-Jobs, deren Inhalte sich durch Automatisierung ändern. Nehmen wir die Buchhaltung, ein Beruf, dem schon mehrfach der Tod vorausgesagt wurde – einmal, als der Taschenrechner kam, später bei der Einführung der Tabellenkalkulation. Es gibt immer noch Buchhalter:innen, aber sie arbeiten heute anders. Ich glaube, dass Menschen durch Automatisierung viel öfter in Jobs landen, in denen sie ihre menschliche Kreativität und Problemlösungskompetenz ausleben können.
Inwiefern?
Studien zeigen, dass der Output von Menschen mit geringeren Skills durch künstliche Intelligenz steigt. Auch insgesamt gesehen wächst die Produktivität durch den Einsatz dieser Technologien. Wir sehen das im kreativen Bereich, wenn wir nicht mehr stundenlang nach passenden Stock-Bildern suchen müssen, sondern Tools nutzen, die Postings auf verschiedenen Kanälen für uns erledigen. Unsere Aufgabe besteht dann eher darin, diese Veröffentlichungen zu orchestrieren. Nichtsdestotrotz wird es Bewegungen auf den Job-Märkten geben. Aber da wir in ganz Westeuropa einen Talentemangel haben, teile ich die Angst vor Jobverlusten nicht. Im Gegenteil: Die Berufe werden aufgewertet. Das ist Upskilling, was da passiert, und ich bin überzeugt, dass dadurch die Arbeitsplatzzufriedenheit massiv steigen wird.
Interview: Bettina Geuenich
Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.