Internationale Teams führen: „Von alleine funktioniert das nicht“

Internationale Teams zu führen, ist komplex. Neben den persönlichen Eigenheiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen Führungskräfte Sprachbarrieren und kulturelle Hintergründe im Blick haben. Doch noch weitere Faktoren spielen eine Rolle, wie Karin Schreiner, Coach und Beraterin für Intercultural Management, im Interview erklärt.

Frau Schreiner, worauf müssen Führungskräfte achten, wenn sie internationale Teams führen?
Führung im internationalen Kontext ist komplexer als das Führen eines nationalen Teams. Die Teammitglieder bringen neben ihren individuellen Persönlichkeiten diverse kulturelle Hintergründe mit, auf die eine Führungskraft eingehen muss. Hinzu kommen potenziell Sprachbarrieren. Um internationale Teams gut führen zu können, sind daher Auslandserfahrung und interkulturelle Kompetenzen wichtig.
Wie unterscheiden sich die Erwartungen an Führungskräfte in verschiedenen Kulturen?
Menschen gehen zum Beispiel sehr individuell mit dem Feedback einer Führungskraft um. Eine Teamleitung muss daher wissen, in welcher Weise sie Feedback geben kann. Muss sie sehr direkt sein oder eher indirekt? Gibt sie Feedback vor dem ganzen Team oder in Einzelgesprächen? Mitarbeitende aus Asien reagieren etwa tendenziell sensibel auf Feedback. Daher sollten Führungskräfte kritische Themen lieber unter vier Augen ansprechen.
Auch die Erwartungen an den Führungsstil unterscheiden sich. In den meisten Ländern Europas überwiegt der partizipativ-egalitäre Führungsstil. Das heißt, dass wir Verantwortung sehr stark an die Mitarbeitenden übertragen. Die Führungskräfte geben eher die Richtung vor und den Rest machen sich die Teammitglieder selber aus. Daher können Menschen aus Ländern, in denen ein autoritärer Führungsstil normal ist, in Österreich anfangs sehr verloren sein. Denn sie vermissen klare Anweisungen. Hier ist wiederum die Führungskraft gefragt, die Leute schrittweise an den vorherrschenden Führungsstil zu gewöhnen.
Welche kulturellen Prägungen bringen österreichische Führungskräfte mit?
Stereotypisierungen sind immer ein bisschen gefährlich und es gibt in allen Ländern eine Bandbreite der Führungskulturen. Aber Tendenzen lassen sich trotzdem feststellen. Der in Österreich vorherrschende Führungsstil wird zwar oft als autoritär beschrieben – auch in vielen Kulturmodellen. Meine Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit Firmen ist aber eine andere – nämlich, dass überwiegend ein partizipativer Führungsstil und eine sehr starke Konsensorientierung vorherrschen. Außerdem ist in Österreich – wie in ganz Mitteleuropa – die Beziehungsorientierung stark ausgeprägt. Wir gehen gerne miteinander auf einen Kaffee oder zum Mittagessen. Sowohl privat als auch beruflich ist Beziehungszeit wichtig.
Wenn eine Führungskraft zum ersten Mal ein internationales Team übernimmt: Was erleichtert den Einstieg in diese Aufgabe?
Grundsätzlich brauchen Teams, die neu zusammengesetzt werden, die Zeit, einander kennenzulernen und zusammenzuwachsen. Sehr oft wird dem aber nicht Rechnung getragen. Das ist schade, denn es gibt bestimmte Entwicklungsprozesse, die jedes Team durchläuft, ob man das will oder nicht. Diese Schritte sollten Führungskräfte kennen und produktiv begleiten. Zu diesen Phasen gehört neben dem ersten Kennenlernen eine Phase, in der alle ihren Platz im Team finden müssen. Dabei werden Aufgaben und Kompetenzen verhandelt, es gibt Gerangel und Konflikte, die es zu bewältigen gilt, bis alle ihre Positionen gefunden haben. Erst dann geht das Team in die Performing-Phase. Damit Teams aber überhaupt in diese Phase kommen, sollten Unternehmen und Führungskräfte Zeit und Energie investieren, um eine produktive Zusammenarbeit zu gewährleisten – zum Beispiel in einem Teambuilding.
Wie geling es, Teams im Alltag positiv unterstützen?
Sie sollten beispielsweise in Meetings darauf achten, dass alle dieselbe Redezeit haben, damit auch die eher zurückhaltenden Personen den Mut finden, sich zu äußern. Viele Studien belegen, dass Teams erst dann gut funktionieren, wenn sich alle gleichberechtigt einbringen. Das muss moderiert werden, wenn es nicht von selbst funktioniert. Dabei sollten die Führungskräfte – gerade bei virtuellen Treffen – auf nonverbale Signale achten. Wichtig ist zudem eine nicht wertende Sprache. Denn es macht einen Unterschied, ob ich jemanden als „aggressiv“ oder als „emotional expressiv“ beschreibe. Und es macht ebenfalls einen Unterschied, ob ich die Ressourcen oder die Defizite der Menschen zur Sprache bringe. So kann ich Mitarbeitende mit geringen Deutschkenntnissen als „inkompetent“ einstufen. Ich kann aber auch darauf hinweisen, dass sie erst seit zwei Jahren in Deutschland leben und fehlende Deutschkenntnisse durch andere Kompetenzen wettmachen.
Wie kann HR die internationale Führung und Zusammenarbeit unterstützen?
Hilfreich sind Coachings für Führungskräfte. Diese können zum Beispiel die kulturelle Sensibilität schärfen und den richtigen Umgang mit Diskriminierung fördern. Wichtig ist, dass dies regelmäßig geschieht und nicht nur einmalig. Denn erst dann setzen Lernprozesse ein. Damit im gesamten Unternehmen ein Mindset der kulturellen Offenheit entstehen kann, können Unternehmen außerdem Trainings für die gesamte Belegschaft anbieten. Auch andere Formate können hilfreich sein, zum Beispiel Impulsvorträge, die erklären, was Diversität bedeutet, wie das Unternehmen Vielfalt lebt und welchen Mehrwert dies bietet.
Neben der individuellen Ebene ist die Ebene der Organisationsstrukturen entscheidend. Wenn uns Fairness, Respekt und Transparenz strategisch wichtig sind, müssen sich diese Werte auch in den Gehaltsstrukturen und den Prozessen der Gehaltsfindung spiegeln. Und wenn wir eine Nulltoleranz-Politik gegenüber Diskriminierung, Rassismus und Belästigungen leben wollen, dann müssen wir auch die „kleinsten“ Vorfälle diskutieren und verfolgen. Das bedeutet, dass Unternehmen wirklich dahinter sein müssen. Von alleine funktioniert das nicht.
Interview: Bettina Geuenich
Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.