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Arbeitskräftemangel: Ist die Beschäftigung von Geflüchteten eine nachhaltige Lösung?

Seit Jahren stöhnt die österreichische Wirtschaft unter dem Engpass an Fach- und Arbeitskräften. Gleichzeitig kommen seit einiger Zeit wieder vermehrt Menschen nach Österreich, um hier zu leben – und zu arbeiten. Wie können sie den anhaltenden Fach- und Arbeitskräftemangel lindern?

Niedrige Arbeitslosenzahlen, erhöhte Wechselbereitschaft und demografischer Wandel – die Lage am Arbeitsmarkt macht Unternehmen landesweit zu schaffen. Vor allem der anhaltende Fach- und Arbeitskräftemangel ist für einen Großteil derzeit nur schwer zu bewältigen. Das zeigt auch eine aktuelle Analyse von Deloitte: 96 Prozent geben darin an, ihn bereits deutlich zu spüren, 56 Prozent der Betriebe sehen den Engpass an Arbeits- und Fachkräften sogar als die größte Herausforderung an, der sie sich zum jetzigen Zeitpunkt stellen müssen. Und eine Entspannung der Lage ist derzeit nicht in Sicht.

Grafik 1: Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt (Quelle: Deloitte)

Durch die prekäre Situation am Arbeitsmarkt rücken alternative Zielgruppen bei der Mitarbeitersuche zunehmend in den Fokus. Vor allem in der Beschäftigung von Menschen mit Fluchterfahrung suchen Unternehmen aktuell eine nachhaltige Antwort auf den Arbeitskräftemangel. Laut Deloitte-Studie stehen immerhin zwei Drittel der Befragten der Anstellung von Geflüchteten grundsätzlich positiv gegenüber, für 60 Prozent ist der Mitarbeitermangel dahingehend der Hauptmotivator. Weniger als die Hälfte – nämlich 43 Prozent – haben allerdings aktuell tatsächlich Menschen mit Fluchthintergrund in ihrem Betrieb angestellt. Das zeigt: Die Unternehmen handeln bei der Beschäftigung von Geflüchteten sehr oft nicht nach den eigenen Ansprüchen und verschenken dadurch großes Potenzial.

Die Hürden bei der Anstellung

Doch woher kommt diese Lücke zwischen positiver Einstellung und tatsächlichem Handeln? Einer der Gründe könnte sein, dass Unternehmen in diesem Zusammenhang auf zahlreiche Hürden stoßen. Vor allem der als hoch empfundene Aufwand für Integration und Schulungen wirkt auf viele abschreckend. Gleichzeitig klagt mehr als die Hälfte über das Fehlen passender Bewerbungen. Und in Sachen einfacherer Vermittlung qualifizierter Personen, klareren rechtlichen Rahmenbedingungen und mehr Transparenz in Bezug auf Qualifikationen haben Unternehmen noch immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen.

Grafik 2: Wünsche von Unternehmen

Doch nicht nur Unternehmen stehen in diesem Zusammenhang vor vielen Herausforderungen, auch die Geflüchteten tun sich schwer, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Vor allem die Sprache, fehlende Praxiserfahrung und in Österreich nicht anerkannte ausländische Ausbildungen machen ihnen das Leben schwer und sorgen für Unsicherheit auf unterschiedlichen Ebenen. Angesichts der angespannten Situation am Arbeitsmarkt herrscht hier also dringend Handlungsbedarf, um Geflüchteten den Einstieg in die österreichische Berufswelt zu erleichtern.

Hoffnung geben in diesem Zusammenhang zumindest die durchwegs positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit, über die Unternehmen, die bereits Geflüchtete beschäftigen, berichten: Immerhin sind fast alle dieser Betriebe offen dafür, weitere Menschen mit Fluchthintergrund einzustellen. Außerdem geben die Unternehmen viel dafür, dass die Integration gelingt. Wie die Analyse von Deloitte zeigt, setzen sie in der Praxis vor allem auf eine Mischung aus individuell zugeschnittenen und strukturellen Vorgehensweisen. Konkret greifen die Unternehmen dabei vor allem auf Buddy-Systeme, strukturiertes Onboarding oder das Angebot von Deutschkursen zurück. Das fördert die Integration Geflüchteter in den Betrieb und ist auf individueller Ebene ohne Zweifel ein wichtiger Beitrag zu einem diverseren Arbeitsumfeld. In Summe machen Unternehmen davon aber leider noch zu selten Gebrauch.

Handlungsempfehlungen für erfolgreiche Integration


Wie kann Ihr Unternehmen von dem Arbeitsmarktpotenzial Geflüchteter profitieren? Hierzu einige Tipps:

  1. Employer Branding verstärken: Wenn Ihr Unternehmen bereits Geflüchtete eingestellt haben, sollten Sie über Ihre positiven Erfahrungen sprechen, beispielsweise mittels eines Homepage-Videos. Das kann ein inklusives Bild des Betriebes nach außen vermitteln und Aufmerksamkeit für potenzielle künftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen.
  2. Strukturelle Ungleichheiten abbauen: Diskriminierung am Arbeitsplatz liegt häufig an strukturellen Benachteiligungen auf individueller, kultureller und institutioneller Ebene. Überprüfen Sie daher ihre Prozesse auf Diskriminierungspotenzial und passen sie diese bei Bedarf an. Helfen kann dabei etwa zielgerichtetes Diversity Management. Die dadurch adaptierten Prozesse und Strukturen erzielen in der Regel einen positiven Veränderungseffekt.
  3. Recruiting-Prozess inklusiv gestalten: Sprechen Sie bewusst andere Zielgruppen an als üblich: Neben offenen Stellenausschreibungen können hier auch niederschwellige Kennenlernangebote wie Schnuppertage oder Praktika sowie ein strukturelles Empfehlungsmanagement hilfreich sein. Und auch die Zusammenarbeit mit Arbeitsmarktorganisationen ist Unternehmen zu empfehlen.
  4. Führungskräfte sensibilisieren: Geflüchtete machen auf unterschiedlichen Ebenen sehr oft die Erfahrung struktureller Ungleichheiten. Sensibilisieren und qualifizieren Sie daher die Führungskräften dahingehend, um Ungleichheiten im eigenen Betrieb vorzubeugen und bei Bedarf entsprechend reagieren zu können.
  5. Individuelle und transparente Entwicklungspfade schaffen: Wenn sich Menschen Qualifikationen on-the-job aneigenen, gelingt der Berufseinstieg schneller. Gelingen kann das vor allem mit individuell ausgerichteten Karriere- und Entwicklungspfaden. Unternehmen sollten daher je Position die notwendigen Kompetenzen festlegen und transparent kommunizieren, wie sie diese bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter messen können. Das begünstigt eine valide Einschätzung der jeweiligen Aufgaben und ermöglicht vor allem Geflüchteten eine nachhaltige berufliche Perspektive in Österreich.
  6. Informelles Wissen vermitteln: Für eine erfolgreiche Integration ist informelles Wissen zum Betrieb und vor allem den betrieblichen Gepflogenheiten essenziell. In der Praxis lässt sich informellem Wissen am besten in individuell gestalteten Mentorings oder über Buddys austauschen. Letzteres ermöglicht es Geflüchteten in erster Linie, offen über ihr individuellen Herausforderungen und Bedürfnisse zu sprechen. In Mentorings wiederum können sie von den Erfahrungen der Mentorin oder des Mentors profitieren. Beides jedenfalls stärkt die Mitarbeiterbindung und leistet einen großen Mehrwert für die allgemeine Integration.

Es zeigt sich: Derzeit herrscht noch sehr viel Unsicherheit im Zusammenhang mit der Einstellung von Geflüchteten. Was es jetzt braucht, sind entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen und Unterstützung seitens der Politik. Aber auch Unternehmen haben noch sehr viel Handlungsspielraum, um Menschen mit Fluchthintergrund den Einstieg in den österreichischen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Es gilt jetzt zu handeln, denn angesichts der aktuellen Situation kann keine Organisation Potenzial verschenken.

Webtipp:
Studie „Neue Perspektiven und ungenutzte Potenziale Integration von Menschen mit Fluchthintergrund am österreichischen Arbeitsmarkt“: Zum Download

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Elisa Aichinger

Partnerin bei Deloitte Österreich
Elisa Aichinger ist Partnerin bei Deloitte Österreich und leitet dort den Bereich Social Innovation.