Recruiting in Österreich: Studie beleuchtet Schwachstellen

Welche Themen bewegen die Recruiter:innen zurzeit und mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen? Wie ist ihr Ansehen in den Unternehmen und woran sollten sie arbeiten? Die Recruiting-Strategin Claudia Lorber und Herwig Kummer, HR-Leiter beim ÖAMTC, haben mit der FH Burgenland eine Studie mit 215 befragten HR-Verantwortlichen vorgelegt: „Recruiting im Wandel“ beleuchtet viele Facetten der Personalbeschaffung – und legt dabei Schwachstellen offen.

Welche Fragestellungen verfolgt die Studie „Recruiting im Wandel“?
Die Studie „Recruiting im Wandel“ soll den Status quo des Recruitings in Österreich beschreiben. Dabei ging es uns um die Ausbildung und die Rolle der Funktion ebenso wie um den Tätigkeitsbereich. Herwig Kummer und ich haben schon 2017 mit Kooperationspartner:innen eine Studie erhoben, weil wir verlässlich Zahlen zum Thema Recruiting bezogen auf Österreich vermisst haben. Es gibt Studien für Deutschland und die DACH-Region, aber für Österreich sind wir nicht fündig geworden.
Diese Befragung wollten wir eigentlich alle zwei bis drei Jahre fortführen. Dann kam Corona – und die HR-Abteilungen waren mit anderen Problemen beschäftigt. Mit der FH Burgenland haben wir 2022 das Thema noch einmal angepackt – und dann mit zwei Master-Studierenden eine Neuauflage der Studie gestartet, die Herwig Kummer und ich inhaltlich betreut haben. Die Ergebnisse können wir nun teilweise mit den Zahlen aus 2017 in Beziehung setzen.
Seit 2017 hat sich der Arbeitskräftemangel verschärft. Wie hat sich in dieser Zeit der Stellenwert des Recruitings in den Unternehmen verändert?
Die Studie zeigt, dass der Stellenwert des Recruitings innerhalb der Unternehmen steigt. Auch die Ansprüche an diese Funktion nehmen zu. Trotzdem stellen die Unternehmen nicht mehr Ressourcen für das Recruiting zur Verfügung – bezogen auf Personal und Geld. Nach wie vor gibt es nur wenige Vollzeit-Recruiter:innen. Oft erledigen HR-Verantwortliche die Recruiting-Aufgaben nebenher. Das steht deutlich im Widerspruch zu den wachsenden Anforderungen.
Wachsen auch die Anforderungen an Berufseinsteiger:innen, die ins Recruiting wollen?
Laut Studie wächst der Anteil Menschen mit einem akademischen Background im Recruiting. Das hängt aus meiner Sicht damit zusammen, dass es mittlerweile ein sehr breites Angebot an akademischen Ausbildungen in Österreich gibt. Ich selbst bin Absolventin der FH Burgenland – und der Master-Studengang Human Resource Management, den ich vor 13 Jahren absolviert habe, hat das Thema Recruiting nur gestreift. Heute gibt es eigene Lehrveranstaltungen dazu – auch an anderen Hochschulen. Das akademische Angebot ist größer und spezifischer geworden.
Außerdem hat sich das Interesse an diesen Ausbildungen meiner Wahrnehmung nach durch Corona noch verstärkt. Denn viele Menschen sind in dieser Zeit auf die Idee gekommen, etwas für ihre Qualifikation zu tun. Doch obwohl wir einen Trend zur Akademisierung im Recruiting erleben, nehme ich in der Praxis wahr, dass dieser Bereich sehr offen für Nicht-Akademiker:innen und für Quereinsteiger:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen ist. Es gibt also nicht nur den einen Weg in das Recruiting, sondern eine Vielfalt. Das bestätigt die Studie.
Wie verändern sich die Aufgaben im Recruiting?
Wirklich irritiert hat mich, dass die Befragten das Kennenlerngespräch immer noch als eine Hauptaufgabe des Recruitings betrachten. Was ich aber tun muss, um überhaupt ins Gespräch zu kommen, also das Suchen und Finden, steht nach wie vor weniger im Fokus. Hier hatte ich mir ein anderes Ergebnis erwartet.
Wie erklärst du dir, dass viele Unternehmen die aktive Suche nach Kandidat:innen so stiefmütterlich behandeln?
Ich glaube, dass den Recruitingverantwortlichen grundsätzlich schon sehr klar ist, dass es nicht ausreicht, ein Jobangebot zu posten und dann ein Gespräch zu führen. Aber in den Unternehmen ist das noch nicht angekommen. Themen wie Active Sourcing, Employer Branding oder Social Media Recruiting standen vor zehn bis 15 Jahren noch gar nicht auf der Tagesordnung. Heute sind sie für viele Führungskräfte und Manager zwar state of the art, aber sie geben noch keine extra Ressourcen dafür frei.
Das führt dann dazu, dass Recruiter:innen eher klassische Aufgaben wie beispielsweise Kennenlerngespräche wahrnehmen, die ihnen auch mehr Sichtbarkeit bieten. Wenn sie mit den Führungskräften in Gesprächen sitzen, ist ihre Arbeit sichtbar. Was sie aber getan haben, damit das Gespräch stattfindet, sieht niemand.
Das ließe sich aber sichtbar machen, oder?
Ja, aber grundsätzlich ist HR sehr schlecht darin, sich selbst zu vermarkten. Ich werde so oft gefragt, wie man Führungskräfte, Management und die eigenen Kollegen und Kolleginnen von der Sinnhaftigkeit eines HR-Projekts überzeugen kann – ob es nun um Social Media Recruiting, Employer Branding oder eine neue Karrierewebseite geht. Ich muss mir ja nicht nur überlegen, was sinnvoll wäre, sondern auch, wie ich die entsprechenden Ressourcen und das OK für meine Vorhaben bekomme.
Welche Vorhaben verfolgen die Unternehmen im Recruiting aktuell?
Die wichtigsten Baustellen, an denen Unternehmen derzeit arbeiten, sind Employer Branding und Social Media Recruiting. Spannend fand ich, dass in vielen Unternehmen das Optimieren von Stelleninseraten – bezogen auf Sichtbarkeit und Auffindbarkeit – als To-do auf der Agenda steht. Das ist wirklich bitter, denn das müsste schon lange erledigt sein. Aber dieses Ergebnis deckt sich mit meinen Erfahrungen aus der Praxis. Kürzlich hat mich ein Unternehmen beauftragt, Feedback zu ihrer Karriereseite zu geben. Dort waren die Stelleninserate als PDF veröffentlicht, was in der Onlinewelt gar nicht funktioniert.
Ein weiteres Thema, das Unternehmen im Moment sehr interessiert, ist Talent Relationship Management. Allerdings gibt es hier auch noch viel Unsicherheit darüber, wie sich das in der Praxis umsetzen lässt. Und ich denke auch, dass viele Organisationen erst einmal andere Baustellen – wie das Optimieren der Jobinserate – bearbeiten müssen.
Wie stark nutzen die Unternehmen Social Media Recruiting – und welche Kanäle sind dabei erfolgreich?
Laut unserer Studie haben Social Media und Business-Netzwerke im Vergleich zu 2017 enorm an Bedeutung gewonnen. Zielgruppenspezifische Ads mit Targeting schalten allerdings weniger als 50 Prozent der Befragten. Am häufigsten werden Facebook, LinkedIn, XING und Instagram genutzt. Bei XING liegt der Schwerpunkt auf Recruiting und bei Instagram eher auf Employer Branding. Nicht genutzt werden Kanäle wie Pinterest, SnapChat und Tiktok.
Aus der Praxis hängt der Umgang mit Social Media sehr stark von den Ressourcen ab. Den Verantwortlichen ist absolut klar ist, dass es viele Kanäle gibt, die sie bespielen müssten. Aber sie haben teilweise nicht das Know-how. Jeder Kanal hat seine Eigenarten. Dieses Wissen können sie sich natürlich aneignen. Aber das Hauptproblem ist, dass viele gar nicht die Zeit finden, Social Media regelmäßig zu bespielen.
Wo liegt aktuell der größte Entwicklungsbedarf im Recruiting?
Wenn sich das Recruiting Strategien aus dem Marketing abschauen würde, hätten wir viel gewonnen. Dann würden wir anfangen, in Zielgruppen zu denken und danach unsere Kanäle und die Art der Kommunikation zu wählen. Das geschieht im Recruiting noch viel zu selten. Stattdessen schreiben wir Inserate, ohne zu überlegen, welche Informationen die Adressat:innen wollen und brauchen. Neben dem Denken in Zielgruppen können wir vom Marketing lernen, wie unsere Inhalte gefunden werden. Wenn wir dann noch wissen, was unsere Zielgruppe lesen oder sehen mag, wäre das perfekt. In dieser Hinsicht gibt es noch viel Luft nach oben.
Was erhoffst du dir von der Studie?
Ich fände es gut, wenn die Studie einen Impuls geben könnte, die Wertigkeit von Recruiting für Unternehmen sichtbarer zu machen. Meine Idealvorstellung wäre, dass Recruiter:innen die Ergebnisse nutzen, um intern – zum Beispiel gegenüber der Geschäftsleitung – zu argumentieren, warum sich im Recruiting dringend etwas ändern muss.
Interview: Bettina Geuenich
Zur Studie:
Für die Studie „Recruiting im Wandel“ hat der Fachbereich Wirtschaft der FH Burgenland in Zusammenarbeit mit Claudia Lorber und Herwig Kummer 215 Recruiter:innen in Österreich befragt. Die Recruiter:innen wurden über berufliche Netzwerke akquiriert. Vorab haben zwei Master-Studierende basierend auf der aktuellen wissenschaftlichen Literatur und Ergebnissen einer Voruntersuchung (Hager, Koudela, Kummer & Lorber 2017) einen Fragebogen erstellt. Die gesamten Studienergebnisse gibt es hier: www.claudialorber.at/recruiting-report-2022/
Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.