Von künstlicher Intelligenz bis zu Vertrauen: Studie zeigt Trends im Personalmanagement

Foto: Jordan Madrid, Unsplash

In welche Richtung entwickelt sich das Personalmanagement in Österreich? Dieser Frage ist eine qualitative Studie der FH Wien der WKW nachgegangen. FH-Dozent Stefan Teufl, der viele Jahre selbst in HR-Führungsfunktionen tätig war und den Personalbereich heute auch als Management-Consultant und Blogger (www.teuflsblog.com) begleitet, hat zwölf leitende HR-Verantwortliche aus unterschiedlichen Organisationen befragt. Die Studie „Leading People & Culture: Implikationen für ein proaktives Personalmanagement der Zukunft“ ist keine repräsentative Erhebung (diese soll noch folgen), aber sie liefert ein spannendes und aktuelles Stimmungsbild.

Herr Teufl, wie haben Sie die Gesprächspartner für Ihre Studie ausgewählt?

Ich habe mir überlegt, welche Unternehmen interessant wären und dabei versucht, möglichst unterschiedliche Perspektiven einzufangen, angefangen von Start-ups und Scale-ups über Klein- und Mittelbetriebe, bis hin zu sehr großen Organisationen. Es waren zehn unterschiedliche Branchen darunter – darunter Finanzdienstleistungen, Papier, Chemie, Bau und ein Unternehmen aus der Nachhaltigkeits-Branche. Die Gespräche habe ich ausschließlich mit Heads of HR geführt – oder, wie es heute meist heißt: „Heads of People and Culture“.

Stefan Teufl, FH-Dozent, Berater, Blogger

Sind Sie mit bestimmten Vorannahmen in die Befragung gegangen?

Eigentlich nicht. Ich habe versucht, meinen HR-Background beiseitezuschieben und wie ein Archäologe möglichst offen und unbefangen in die Gespräche zu gehen. Aber eine Vorannahme hatte ich vielleicht doch: Ich bin davon ausgegangen, dass HR heute viel professioneller und strategischer agiert, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Das hat sich in den Gesprächen auch bestätigt. In den Unternehmen, die ich befragt habe, hat HR wirklich Anteil an der Geschäftsstrategie und sitzt in den wichtigsten Management-Meetings. Es gibt also eine sehr enge Abstimmung mit dem Business. Bei diesem Rollenwandel vom administrativen Verwalter hin zum strategischen Partner sind einige Unternehmen schon sehr weit.

Jedes zweite befragte Unternehmen beschäftigt sich mit dem Thema Führung. Hat Sie das überrascht?

Ja, das war einer der Punkte, die ich so nicht erwartet hätte. Das Thema ist in den Organisationen sehr präsent – beginnend mit Diskussionen im Top-Management (Wie führen wir heute? Wie gelingt uns gute Führung in der neuen Arbeitswelt?) bis hin zu sehr elaborierten Leitbildern zum Thema Führung und groß angelegten Führungskräfteentwicklungsprogrammen.

Worum geht es in der Führungskräfteentwicklung inhaltlich?

Thematisch beschäftigen sich die meisten Unternehmen mit dem Thema Vertrauen. Das fand ich sehr spannend, zumal ein großer Teil der HR-Verantwortlichen das Thema Vertrauen ungefragt angesprochen hat. Es geht ihnen dabei um Personenvertrauen und Systemvertrauen: Wie kann ich als Führungskraft Vertrauen zu meinen Mitarbeitenden finden? Und wie entsteht eine Kultur, die auf Vertrauen aufbaut? Das reicht bis hin zu der Frage, wie wir als vertrauenswürdige Arbeitgeber:innen wahrgenommen werden. Eine HR-Verantwortliche hat in dem Zusammenhang den Begriff „Trust-based Leadership“ verwendet, den ich sehr treffend fand. Inhaltlich spielt bei der vertrauensbasierten Führung auch „Positive Leadership“ hinein – und damit die Frage „Wie kommen wir weg von einem defizitorientierten hin zu einem stärkenorientierten Führungsansatz?“.

Warum ist Vertrauen für die Unternehmen aktuell so wichtig?

Das ist für mich noch offen. Es mag mit der Erfahrung der vergangenen drei Jahre zu tun haben. Aber sicher ist, dass Unternehmen sich über Vertrauen sehr gut positionieren können, wenn sie es glaubwürdig nach innen und außen leben. Dafür müssen sie sich fragen, wie Vertrauen entsteht und wie Führungskräfte Vertrauen ausstrahlen können. Das hängt viel mit Selbst- und Fremdvertrauen zusammen, aber auch damit, sich verletzlich zu zeigen und Beziehungen einzugehen, auch in ungewissen Situationen.

Oder Sinn zu stiften? Ein erstaunlich großer Teil der befragten Unternehmen arbeitet ja gerade an einer „Purpose driven Culture“.

Tatsächlich beschäftigen sich sieben der zwölf befragten Unternehmen mit ihrem Purpose und ihrem Wertesystem. Sie stellen sich Fragen wie: An welche Werte halten wir uns? Wie können wir diese kommunizieren und authentisch leben? Diese Entwicklung hängt sicher auch mit den Erfahrungen der Coronazeit zusammen und mit dem sehr ausgedünnten Markt an potenziellen Bewerber:innen. Unternehmen versuchen aktuell, sich über die Beschäftigung mit Purpose und Werten als Arbeitgeber:in zu positionieren und eine Employee Value Proposition zu erarbeiten.

Dabei ist der Grad zwischen Marketing und ehrlichem Anliegen oft schmal. Wie gehen die von Ihnen befragten Unternehmen das Thema Purpose an?

Die Herangehensweisen sind sehr unterschiedlich. Während einige das Thema ausschließlich bottom-up behandeln und die Mitarbeiter:innen den Purpose unter der Moderation von HR gemeinsam beschreiben, gibt es in anderen Unternehmen Vorgaben vom Management. Es gab auch Mischansätze – bottom-up und top-down. Ich möchte gar nicht bewerten, was die bessere Vorgehensweise ist. Aber interessant war, wie unterschiedlich Organisationen sich diesem Thema nähern.

Das gilt auch für die Art und Weise, wie Arbeitgeber:innen sich gegenüber Bewerber:innen präsentieren. Ein Unternehmen aus der Energiebranche arbeitete beispielsweise mit knackigen Videos, in denen Lehrlinge und Expert:innen aus dem Unternehmen ihren Arbeitsplatz sehr authentisch vorstellen. So haben sie sich als vertrauenswürdiger, potenzieller Arbeitgeber präsentiert. Ein anderes Unternehmen aus der Papierbranche setzt aktuell auf Tiktok und Instagram, um jüngere Bewerber:innen gezielt anzusprechen.

Unternehmen müssen sich – das zeigt auch Ihre Studie – zunehmend um Arbeitnehmer:innen bemühen. Wie individuell gehen sie dabei auf die Bedürfnisse Einzelner ein?

In dem Zusammenhang finde ich ein Zitat von AMS-Chef Johannes Kopf sehr treffend: „Wer heute Arbeitskräfte sucht, muss tanzen“. Das haben alle meine Interviewpartner:innen betätigt. Bis auf ein Unternehmen aus der Nachhaltigkeitsbranche, das keinerlei Probleme hatte, Mitarbeitende zu finden, überlegen sich alle befragten Organisationen, wie sie dem Fachkräftemangel begegnen und sich im Employer Branding gut positionieren können.

Dabei gibt es laut den Studienergebnissen einen absoluten Megatrend in Richtung Individualisierung. Selbst sehr große Unternehmen stellen sich zunehmend die Frage, wie sie möglichst viele individuelle Bedürfnisse der Mitarbeitenden abdecken können. Aus der Positiven Psychologie wissen wir ja, dass es drei Grundbedürfnisse des Menschen im Job gibt: das Bedürfnis nach Autonomie, nach Kompetenz und nach sozialer Eingebundenheit mit guten Arbeitsbeziehungen. Diese Bedürfnisse individuell zu berücksichtigen, ist ein klarer Trend.

Wie kann diese Individualisierung in der Praxis aussehen?

Ein Beispiel aus der Beratungsbranche ist mir besonders in Erinnerung gegeben. Es handelt sich um ein mittelständisches Unternehmen, das sehr stark auf Selbstorganisation und dezentrale Entscheidungen setzt, auch im HR-Team. Es gibt keine klassische Führungskraft mehr, also keine Vorgesetzten. Dieses Unternehmen hat natürlich ein Gehaltssystem, das sich an Standards und Kollektivverträge halten muss. Aber es versucht dennoch, individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Wenn eine Gehaltserhöhung beispielsweise nicht möglich ist, dann versucht man, Alternativen zu finden. So wusste die HR-Managerin von einer Mitarbeiterin, die sie halten wollten, dass diese sich schon länger bestimmte Waldviertler Schuhe gewünscht hatte. Eine Gehaltserhöhung war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, aber die Mitarbeiterin bekam die Schuhe. Das Unternehmen nimmt die Wünsche der Beschäftigten sehr ernst – und das ist aus meiner Sicht ein gutes Beispiel dafür, wie man individuell auf Menschen in Organisationen eingehen kann.

Wo liegen aus Sicht der Befragten Stärken von HR?

Die wohl größte Stärke ist den Antworten zufolge die professionelle strategische Partnerrolle, die HR mittlerweile im Unternehmen und gegenüber den Führungskräften einnimmt. HR bietet hier praktisch einen Rundum-Service – angefangen von der Mitarbeiterrekrutierung über Onboarding und Entwicklung bis zum Coaching.

Und welche Entwicklungsfelder machen die Befragten für das Personalmanagement aus?

Bei den Entwicklungsfeldern sehe ich drei Themen: Zum einen benötigt HR noch Know-how und handfestes Praxiswissen, um die sehr großen Transformationen und Marktanpassungen gut zu begleiten, vor denen viele Unternehmen aktuell stehen. Zum anderen – das hat uns wirklich überrascht in der Dichte – war der Bedarf an Change- & Coaching-Skills: Wie unterstütze ich Führungskräfte und Management durch Fragen? Wie kann ich Hilfe zur Selbsthilfe anbieten? Auch hier geht es eher um Handwerkszeug.

Schlussendlich – und das ist fast ein HR-Klassiker – geht es darum die „Sprache des Business noch besser zu verstehen“. Also kurz gesagt, sich auf fachliche Skills anzueignen, oder die Auswirkungen von KPI`s wie EBITDA, ROCE oder EVA auf HR-Prozesse zu verstehen, um auf C-Level mitreden zu können.

Viele Unternehmen arbeiten aktuell daran, ihre HR-Prozesse zu digitalisieren. Wie geht es den Befragten Ihrer Studie damit?

In diesem Punkt war das Ergebnis nicht eindeutig. Es gab Vorreiterunternehmen unter den Befragten, die das Thema wirklich ernst nehmen, Bots im Einsatz haben, mit künstlicher Intelligenz arbeiten, oder ihre Mitarbeiter:innen mit durchgestylten Learning-Experience-Plattformen „beglücken“ und somit bei der Digitalisierung schon sehr weit sind. Aber ich habe auch mit bekannten Großunternehmen gesprochen, die das Recruiting nach wie vor mit Excel durchführen und Mitarbeitergespräche in ein Word-Dokument eingeben. Die Bandbreite ist extrem groß. Im Endeffekt haben aber alle Befragten die Chancen der Digitalisierung erkannt.

Welches Fazit würden Sie aus der Studie ziehen?

Dafür würde ich gerne auf die eingangs erwähnten Namensänderung vieler HR-Abteilungen in „People and Culture“ zurück kommen: Dahinter steht ja die zentrale Erkenntnis, dass wir, um als Arbeitgeber:innen positiv wahrgenommen zu werden, eine Führungs- und Unternehmenskultur brauchen, die auf Stärken aufsetzt, bei der Beziehungen im Vordergrund stehen, in der HR eine große Rolle hat.

Diese Transformations- und Unternehmenskulturprozesse zu entwickeln und zu begleiten, zusammen mit dem Management – das ist die zentrale Klammer, die jetzt schon eine Rolle spielt, und in Zukunft immer wichtiger wird. Standard-HR-Prozesse werden künftig mehrheitlich durch Bots und KIs abgelöst. Aber überall dort, wo es um Beziehungen, um Qualität und Vertrauen geht, braucht es starke und inspirierende HR-Manager:innen, nach dem Motto „from HR to RH: from Human Resources to Resourceful Humans“.

Interview: Bettina Geuenich

Zur Studie:
Weitere Infos zur Studie „Leading People & Culture: Implikationen für ein proaktives Personalmanagement der Zukunft“ gibt Stefan Teufl unter Stefan.Teufl@fh-wien.ac.at.

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

Bettina Geuenich

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

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