Was bringen flache Hierarchien – und wie werden sie erfolgreich?

Flache Hierarchien führen nicht immer zu einer selbstbestimmteren und produktiveren Arbeit, sondern zuweilen einfach ins Chaos. Welche Faktoren stimmen müssen, damit flache Organisationsstrukturen einen Mehrwert schaffen, erklärt Markus Reitzig, Organisationswissenschaftler und Professor für strategisches Management an der Universität Wien, im Interview.
Professor Reitzig, flache Hierarchien werden vielfach mit einer produktiveren und erfüllenderen Arbeit gleichgesetzt. Aber stimmt das immer so?
Die kurze Antwort lautet „Nein“. Dafür gibt es zu viele dokumentierte Beispiele von Firmen, die von dem Ansatz wieder abgerückt sind. Aber: Man kann erklären, warum flache Hierarchien in den jeweiligen Fällen nicht zu Verbesserungen geführt haben. Und das hilft bei der Antwort auf die wichtige Frage, wann mehr Autonomie Vorteile für Mitarbeitende und Unternehmung bringt.

Welche Faktoren sind wichtig, damit selbstbestimmtes Arbeiten gelingt – und auch einen Mehrwert für das Unternehmen schafft?
Das sind zwei wichtige Teilfragen. Damit selbstbestimmtes Arbeiten in flachen Hierarchien funktioniert, muss folgendes stimmen:
Erstens: Die Mitarbeitenden müssen sich in der flacheren Struktur wohlfühlen. Mindestens auf Teile der Belegschaft sollte die Struktur motivierend wirken – und möglichst viele sollten die kognitiven Fähigkeiten mitbringen, die es für die Selbstorganisation auch braucht.
Zweitens: Die Rahmenbedingungen müssen von der obersten Führung richtig gesetzt sein. Autonomie heißt nicht, dass Mitarbeitende im luftleeren Raum tätig sind. Es braucht ein kluges Organisationsdesign – und eine ständige Bereitschaft zur Ansprechbarkeit aufseiten der Führung.
Drittens: Damit das Arbeiten in flachen Hierarchien wirklich einen Mehrwehrt schafft, müssen alle Beteiligten zusätzlich zu den beiden schon genannten Punkten ein Unternehmensziel verfolgen, dass von dem autonomen Arbeiten profitiert. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Innovationsfähigkeit des Unternehmens eine Rolle spielt, die Marktreaktionsgeschwindigkeit wichtig ist oder die Notwendigkeit besteht, hochumworbenes und gut ausgebildetes Personal zu binden.
Was empfehlen Sie Organisationen, die sich auf die Reise in Richtung Selbstorganisation begeben möchten?
Sie sollten die gerade genannten drei Punkte beherzigen – und das bedeutet:
Unternehmen sollten hinterfragen, ob sie ihre Ziele in der aktuellen Situation am besten in einer auf Selbstorganisation setzenden Struktur erreichen können.
Sie sollten realistische Erwartungen haben bezüglich des Grades dessen, wie weit diese Delegation gehen kann. Das hängt ganz zentral von der aktuellen Belegschaft und von der Vorstellung bei Neueinstellungen ab.
Zudem sollte die Geschäftsführung überlegen, ob sie bereit ist, diesen neuen Führungsstil des beratenden, planenden, aber weniger kontrollierenden und anweisenden Chefs zu übernehmen.
Interview: Bettina Geuenich
Literaturtipps
Get Better at Flatter: A Guide to Shaping and Leading Organizations with Less Hierarchy. Von Markus Reitzig. Palgrave McMillan 2022.
Schöne „Neue Arbeit“? Worauf es ankommt, damit aus dem New-Work-Traum kein Albtraum wird. Von Markus Reitzig, in: personal manager, 1/2023 (Jänner/Februar), S. 16-19.
Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.