Archetypen-Modell: Welche Art von Führung brauchen Ihre Beschäftigten?

Gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gefragt. Daher ist es für Unternehmen wichtig zu erkennen, was Beschäftigte antreibt und welche Bedürfnisse sie haben. Das Team des Beratungsunternehmens MOTIV new HR Perspectives hat in qualitativen und quantitativen Studien ein Archetypenmodell entwickelt, das eine mitarbeiterzentrierte Führung unterstützen kann. Das Modell zeigt, wie sich die Ansprüche und Bedürfnisse von Arbeitnehmenden – unabhängig von ihrer Generationszugehörigkeit – unterscheiden.
Die 4 Archetypen
Das Motiv-Team identifizierte in einer qualitativen Befragung österreichischer HR-Verantwortlichen vier Archetypen von Mitarbeitenden. Nach einer quantitativen Befragung unter 799 Teilnehmenden folgte eine Reflexion und Validierung dieses Archetypen-Modells in Fokus-gruppen mit HR-Expertinnen und -Experten. Eine der Fokusgruppen arbeitete die Besonderheiten der vier Archetypen für die Führungsarbeit heraus:
1. Fundamentsarbeiter:innen
Sie halten die Routineprozesse am Laufen, auf denen alle anderen Arbeitstätigkeiten aufbauen. Fundamentsmitarbeiter:innen arbeiten zum Beispiel in Produktion, Logistik oder Buchhaltung. Von ihren Führungskräften erwarten sie klare Aufträge und Ziele, da auch ihre eigene Leistung meist an konkreten Ergebnissen gemessen wird. Sie brauchen einen klaren Rahmen für ihre Tätigkeit und erwarten, dass Führungskräfte ihnen die Mittel zur Verfügung stellen, die sie brauchen, um ihre Aufgaben gut erledigen zu können. Fundamentsmitarbeiter:innen sind für alle Geschäftsprozesse essenziell wichtig. Dennoch werden sie im betrieblichen Alltag leicht übersehen. Führungskräfte sollten dem entgegenhalten und ihnen ihre Wertschätzung zeigen.
Fundamentsarbeiter:innen ist Selbstverwirklichung nicht notwendigerweise so wichtig wie zum Beispiel Sinnarbeiter:innen. Nichtsdestotrotz möchten sie erkennen, was der eigene Beitrag zum unternehmerischen Gesamterfolg ist. Sie reagieren sensibel auf Veränderungen, da sie in ihrer Rolle eine stabilisierende Funktion in der Gesamtorganisation erfüllen. Führungskräfte sollten daher besonders achtsam in der Change-Kommunikation sein: Wenn sie das Bestehen-de laufend infrage stellen, können sie in dieser Gruppe rasch Irritationen auszulösen. Auch wenn sie Zusammenhänge nicht gut nachvollziehbar oder ohne ausreichend Begründung ver-ändern oder keine ausreichende Zukunftsperspektive aufzeichnen können, werden sie diese Mitarbeitenden nicht erreichen oder verlieren.
2. Sinnarbeiter:innen
Sie initiieren und gestalten Veränderungen, die sie als sinnvoll erachten. Damit werden Sinnarbeiter:innen zu Transformationstreibern und Machtzentren in Organisationen. Sie wollen etwas gestalten und von ihren Führungskräften in Entwicklungsprozesse eingebunden werden, damit sie ihre Vorstellungen einbringen können. Denn nur dann können sie sich ausreichend mit der Aufgabe und Organisation identifizieren.
Wer Sinnarbeiter:innen führt, muss ihnen Freiräume abseits klassischer Linienhierarchien und MBO-Systeme geben. Sie möchten erleben, wie ein großes Ganzes entwickelt und realisiert wird und durch ihre Tätigkeit für einen organisationalenr Purpose auch ein gesellschaftlicher Beitrag entsteht. Kritisch wird es, wenn sie auf allzu starre Strukturen treffen, die ihnen im Weg zu stehen scheinen. Hier braucht es eine gute Abstimmung und Kommunikation über die hierarchischen Ebenen hinweg um diese Mitarbeitenden nicht früher oder später zu verlieren beziehungsweise ihre oft energischen und zielgenauen Kritiken und Hinweise als System gut aufnehmen zu können und in organisationales Lernen umzuwandeln.
3. Nomadinnen und Nomadinnen
Sie haben keine wirkliche Bindung zu einer Organisation und sind stattdessen als mobile Fachexperten für verschiedene Unternehmen im Einsatz. Wer Nomadinnen und Nomaden führen will, muss ihnen Möglichkeiten für Neues und spannende Entdeckungen bieten. Routine sollte hier nicht Überhand gewinnen. Dementsprechend sind für sie attraktive Aufgaben solche, die laufend die eigene Fachexpertise herausfordern und Neuigkeitswert haben. Eine besondere Herausforderung in der Führung von Nomaden besteht darin, sie zu motivieren und zu halten. Führungskräfte müssen ihnen vermitteln, welche persönlichen Vorteile die Arbeit für die Organisation mit sich bringt (zum Beispiel die Weiterentwicklung der eigenen Fachexpertise oder das Stärken des eigenen Portfolios).
Dazu sollten Unternehmen den Fit zwischen den Bedürfnissen der Nomaden und dem Bedarf der Organisation gut im Blick halten. In der Praxis werden sie laufend Deals vereinbart, evaluieren und weiterentwickeln. Letztlich geht es Nomaden um Autonomie und Selbstentfaltung. Die Herausforderung in der Steuerung liegt darin, passende Autonomie-Räume zu bieten, die erfolgswirksam und zielgerichtet sind, ohne dabei zu starken Bindungsdruck auszuüben.
4. Hybride Pragmatiker:innen
Sie sind teilselbstständig beziehungsweise in mehreren Unternehmen parallel angestellt oder gehen neben dem Brotberuf zum Beispiel künstlerischen freiberuflichen Tätigkeiten nach. Dadurch müssen hybride Pragmatiker:innen stets unterschiedliche Welten und Ansprüche balancieren, in deren Verbindung allerdings oft großes Innovationspotenzial liegt. Sie möchten in der eigenen Unterschiedlichkeit und Spannung wahr- und ernstgenommen werden. Das gelingt, wenn Führungskräfte ihnen Möglichkeiten bereitstellen, sich mit ihren besonderen, eventuell auch unkonventionellen Fähigkeiten einzubringen. Hybride Pragmatikerinnen benötigen Aufgaben, die sie in der eigenen Stabilität fördern, ohne zu viel Autonomie abgeben zu müssen – ein schmaler Grat.
Sie haben immer auch noch andere Verpflichtungen beziehungsweise Fokusfelder parallel zur Anstellung in einer Organisation. Dementsprechend sollten Führungskräfte auch ihre ressourcenbedingt oft begrenzten Beiträge entsprechend würdigen. Gelingt es, hybriden Pragmatikern Räume zu ermöglichen (zum Beispiel über zeitliche und örtliche Flexibilität) die ihre “Mehrbeinigkeit” letztlich erst ermöglichen beziehungsweise fördern, entstehen motivations- und bindungsfördernde Win-Win-Situationen. Führungskräfte sollten hybride Pragmatiker auch immer wieder in Innovationsprozesse mit einbinden, da diese oft komplementäre beziehungsweise unübliche Skills und Zugänge/Perspektiven aus ihren anderen Tätigkeitsfeldern mitbringen und dadurch ein großer Gewinn für Innovationsvorhaben sein können.
Archetypen & Führung: Handlungsempfehlungen
Das Archetypen-Modell kann dabei helfen, Bedürfnisse und Erwartungshaltungen von Mitarbeitenden zu erkennen und gezielter auf sie einzugehen. Eine besondere Herausforderung in der Führung besteht darin, die unterschiedlichen Prägungen von Beschäftigten zu moderieren, damit diese gemeinsam wirksam werden können. Das gilt umso mehr in einem zunehmend hybrid/digitalen Arbeitsalltag, in dem sich der unmittelbare persönliche Kontakt verringert und Abstimmungsprozesse schwieriger werden können. Um die wachsende Komplexität zu managen, kann für Führungskräfte eine gezielte Unterstützung durch die Personalentwicklung sehr hilfreich sein.
Doch nicht nur Mitarbeitende, auch Führungskräfte werden sich in unterschiedlichen Archetypen wiederfinden. Für Unternehmen kann es vor diesem Hintergrund sinnvoll sein, Repräsentanten unterschiedlicher Archetypen mit ihren Zugängen und Erwartungen in Führungsrollen einzubinden. Denn so können sie die jeweiligen Stärken der Archetypen nutzen. Da ein Zusammenwirken in dieser Unterschiedlichkeit nicht immer konfliktfrei möglich ist, müssen Organisationen dafür allerdings eine kollaborative und konsensorientierte Haltung entwickeln. Wichtig ist eine produktive Konfliktkultur und entsprechende Kommunikationsfähigkeit der Rollenverantwortlichen.
Wenn gemeinsame Verhaltensnormen schwinden, gewinnen im Gegenzug halt- und formgebende Prozesse, Tools und Vereinbarungen an Bedeutung, die eine gemeinsame Orientierung und Bewegung ermöglichen. Diese sollten die unterschiedlichen Zugänge und Ansprüche der Mitarbeitenden berücksichtigen und – im Sinne des Unternehmenszwecks – laufend weiterentwickeln. Folglich sollten Unternehmen auch das Führungs- und Zusammenarbeitsleitbild gemeinsam mit ihren Beschäftigten erarbeiten.
Literaturtipp
Weitere Informationen zum Archetypen-Modell liefert der Beitrag „Archetypen in der Personalarbeit“ in Ausgabe 6/2022 der Zeitschrift personal-manager. www.personal-manager.at

Michael Auinger
Michael Auinger ist als Berater für INOVATO Unternehmensentwicklung und MOTIV new HR Perspectives tätig. Ihn treiben neue Zugänge und Perspektiven auf Organisationen und deren Mitglieder in ihrer gesellschaftlichen Einbettung – hin zu einer zukunftsfähigen & humanistischen Wirkungsgemeinschaft.