Workforce Management bei UNIQA: Versicherer stößt Kulturwandel an

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Der Versicherer UNIQA hat untersucht, welche Fähigkeiten das Unternehmen benötigt und wie gut es schon jetzt für die Aufgaben der Zukunft gerüstet ist. Einige Ergebnisse der Analyse waren für die Verantwortlichen überraschend – und haben einen umfangreichen Veränderungsprozess angestoßen, der Personal und Kultur des Unternehmens betrifft. René Knapp, im Vorstand der UNIQA verantwortlich für Human Resource Management, berichtet im Interview über die Transformation.

René Knapp, Mitglied des Vorstandes, UNIQA

Herr Knapp, Sie haben bei UNIQA analysiert, welche Fähigkeiten Ihr Unternehmen in Zukunft benötigt: Was war der Auslöser für dieses Projekt?

Wir wollten besser verstehen, welche Fähigkeiten uns schon heute im Unternehmen fehlen, um unseren Aufgaben optimal nachzukommen. Aber uns hat auch interessiert, wie sich die Berufsprofile in Zukunft ändern. Davon wollten wir ableiten, welche Fähigkeiten wir stärken müssen und welche wir extern besetzen müssen. Sprich: Was können wir rekrutieren, was müssen wir lernen? Das waren die Ausgangsfragen, mit denen wir uns 2020/2021 beschäftigt haben.

Wie sind Sie vorgegangen, um herauszufinden, welche Future Skills für UNIQA wichtig sind?

Wir haben eine Reihe von internen Interviews geführt, in denen wir mit Führungskräften, aber auch mit Expert:innen aus verschiedenen Ressorts darüber gesprochen haben, welche Fähigkeiten sie mit Blick in die Zukunft besonders wichtig finden. Parallel haben wir Studien analysiert, die beschreiben, wie sich die Arbeitsweisen verändern werden, welche Jobprofile wichtiger und welche in den Hintergrund gedrängt werden. Außerdem haben wir unsere interne Strategie berücksichtigt, für die wir bestimmte Fähigkeiten benötigen, die in anderen Branchen möglicherweise gar nicht gefragt sind. Auf diese drei Quellen – interne Expertise, Studien und unsere Strategie – haben wir geschaut, um herauszufinden, welche Fähigkeiten wir häufiger oder in einer höheren qualitativen Ausprägung benötigen.

Sie haben außerdem untersucht, wie gut Sie jetzt schon im Unternehmen aufgestellt sind: Welchen Zugang haben Sie dafür gewählt?

Wir haben eine Social-Media-Analyse über das Portal LinkedIn gewählt: Dabei haben wir Profile unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Vergleichsgruppe aus der Versicherungsbranche gegenübergestellt. Dabei haben wir uns angesehen, welche Jobfamilie und Fähigkeitenprofile bei anderen intensiver ausgeprägt sind oder welche Profile eine höhere Tiefe ausweisen. Dabei bekommt man – ein gewisses Maß an Ungenauigkeiten einkalkuliert – einen ganz guten Eindruck, in welchen Bereichen man als Unternehmen gut aufgestellt ist und in welchen nicht.

Wo haben Sie den größten Handlungsbedarf entdeckt?

Wir haben in den Bereichen IT, Security sowie im mittleren bis oberen Management einen teilweise massiven Entwicklungsbedarf festgestellt. Das kam für uns aber wenig überraschend. Denn das war auch unsere Ausgangshypothese, welche die Studie sehr klar untermauert hat. Sie hat auch bestätigt, dass wir beispielsweise in IT und Security nicht nur bessere Fähigkeiten, sondern auch mehr Menschen benötigen.

Gab es Ergebnisse, die Sie überrascht haben?

Was mich wirklich überrascht hat: Ich habe die Notwendigkeit des Upskillings in der gesamten Belegschaft deutlich unterschätzt. Meine Hypothese war, dass Recruiting einen noch höheren Stellenwert bekommen wird und wir sehr viel in Personalbeschaffung investieren müssen. Aber durch die Studie haben wir besser verstanden, dass Recruiting nur ein Baustein ist, der viel kleiner ausfällt, als ich dachte. Denn wir können längst nicht alle Fähigkeiten rekrutieren, die wir benötigen. Daher ist ein grundsätzliches Upskilling der gesamten Belegschaft wichtig, insbesondere, was digitale Fähigkeiten betrifft.

Die zweite Überraschung war, dass wir einen starken Fokus auf die intra- und interpersonellen Fähigkeiten legen müssen. Hier geht es zum einen um die Frage, wie ich mit mir selbst umgehe: Wie resilient bin ich? Wie manage ich meine eigene Zeit? Oder: Wie sehr achte ich auf meine eigene Gesundheit?

Immer wichtiger wird aber auch die Kollaboration – und zwar aufgrund von zwei Entwicklungen: Zum einen werden wir mit immer komplexeren Problemstellungen konfrontiert, die wir nicht mehr in fachlichen Silos lösen können. Zum anderen haben wir heute einen zunehmenden Wechsel zwischen digitaler und physischer Zusammenarbeit. Daher müssen wir schauen, wie wir zwischenmenschlich miteinander umgehen – und zum Beispiel auch über die Distanz Nähe herstellen. Hier haben wir festgestellt, dass Soft Skills noch einmal deutlich mehr an Gewicht bekommen als wir bisher angenommen haben.

Wie möchten Sie die genannten Fähigkeiten entwickeln und fördern?

Wir arbeiten daran, eine umfassende Lernstrategie zu entwickeln und zu implementieren. Dabei definieren wir, was die Ziele unserer Lernstrategie sind, welche Zielgruppen wir haben und welche Fähigkeiten wir wie optimal vermitteln können. Wir befinden uns hier gerade mitten drin und haben noch einen gewissen Weg vor uns.

Wir wollen konkret definieren, welche Inhalte für Teile der Beschäftigten relevant sind und welche für alle. Es geht darum, ein strukturiertes System aufzubauen, über das wir die Wissensvermittlung nicht nur administrieren können, sondern auch ein möglichst breites Angebot bereitstellen, das wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zielgerichtet anbieten.

Auf welche Lernformen setzen Sie dabei?

Wir haben während der Coronapandemie zwei Dinge gelernt: Das eine ist – wegzugehen von physischen Trainings. Das zweite ist – ganztägige Kurse oder mehrtägige Events weitgehend auf Learning Nuggets zu verkürzen. Diese beiden Wege versuchen wir weiterzugehen. Gerade haben wir unser neues Leadership-Programm fertiggestellt, dessen Inhalte nur noch zu 20 Prozent in Präsenztrainings und zu 80 Prozent digital vermittelt werden. Auch die Ganztagesveranstaltungen haben wir bei UNIQA zugunsten von kürzeren E-Learnings deutlich zurückgefahren. Es gibt ja viele gut aufbereitete Lehrinhalte zu erwerben, die wir nur richtig mappen müssen – und das sind zumeist digitale Lernformate.

Wie motivieren Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich weiterzubilden?

Wir beschäftigen uns gerade sehr intensiv mit der Frage, wie wir eine Lernkultur fördern können. Dabei geht es uns vor allem um drei Themen:
• Wie können wir Kollaboration stärken? Denn diese wird, wie schon beschrieben, immer wichtiger.
• Wie werden wir handelnder? Wir sind als Versicherungsgesellschaft eher risikoavers, möchten aber schneller in die Umsetzung kommen.
• Wie fördern wir unternehmerisches Denken? Versicherungsgesellschaften sind typischerweise noch sehr hierarchieorientiert. Das möchten wir aufbrechen und Entscheidungskompetenz viel breiter im Unternehmen verteilen.

Welche Strategie verfolgen Sie, um die Lernkultur zu fördern?

Die drei genannten Handlungsfelder in der Kultur versuchen wir mit zwei Methoden zu adressieren: Top-down versuchen wir die Rahmenbedingungen für die Mitarbeitenden so zu verändern, dass dies neue Verhaltensweisen fordert und fördert. Ein Beispiel: Wir durchleben gerade eine große IT-Transformation mit der auch die Umstellung auf agile Arbeitsmethoden verbunden ist. Wenn Mitarbeitende, die bisher in einer Fachabteilung gearbeitet haben, plötzlich in einem agilen Team tätig sind, verändert sich das Umfeld, in dem sie sich bewegen, was sich wiederum auf ihre Verhaltensweisen auswirkt.

Bottom-up fördern wir die Praxis des Experimentierens. Wir laden Kolleginnen und Kollegen ein, sich über das Thema Unternehmenskultur Gedanken zu machen und dann über sieben Wochen über eine kleine Veränderung im Verhalten eine Wirkung zu erzielen. Das kann eine Veränderung sein, die sich auf die eigene Person bezieht: Wie kann ich handelnder, kooperativer, eigenverantwortlicher werden? Aber die Veränderung kann auch Projekte und Teams betreffen, in denen man sich bewegt. In diesen beiden Stoßrichtungen – durch größere Kontextveränderungen und durch individuelle Experimente – versuchen wir, die Unternehmenskultur zu verändern.

Wie begleiten Sie die Experimente?

Wir haben 15 Trainerinnen und Trainer intern ausgebildet, die in Kleingruppen mit zwölf Personen diese sogenannten „Experimentation Journeys“ begleiten. Das ist ein siebenwöchiger Prozess, in dem wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vermitteln, wie unsere Zielkultur aussieht, um dann die Experimente zu starten. Das Experiment wird definiert, erprobt, in der Mitte reflektieren wir, was gut klappt und was nicht. Die Teilnehmenden werden gecoacht, dann haben sie noch einmal drei Wochen Zeit, um ihr Experiment zu Ende zu bringen. Abschließend gibt es eine Reflektion.

Sie haben auch ein sogenanntes Culture Office eingeführt. Was verbirgt sich dahinter?

Das Culture Office trägt dazu bei, Unternehmenskultur aktiv zu gestalten. Oft liest man, dass ein sehr großer Teil aller Transformationen an der Unternehmenskultur scheitern. Daher wollen wir das Thema professionell verankern und haben ein Culture Office implementiert – in der ersten Ausbaustufe mit drei Mitarbeiterinnen, die sich ausschließlich mit dieser Thematik befassen.


Sie haben sich zum Beispiel damit beschäftigt, wie wir Kultur messbar machen können. Zu diesem Zweck haben wir versucht, unsere Kultur in sieben Dimensionen zu clustern. Ein Beispiel wäre die Dimension „Planen versus Handeln“. Bezogen auf drei Dimensionen haben wir dann aber festgestellt: Hier wollen wir klar in eine Richtung gehen – und handelnder, unternehmerischer und kollaborativer werden.


Das Culture Office hat in Erfahrung gebracht, welche Methoden es gibt, um Kultur positiv zu beeinflussen und welche bisher erfolgreich waren. Daraufhin haben wir versucht, ein für uns passendes Vorgehen zu entwickeln – und sind auf die beiden Stoßrichtungen gekommen: Kontextveränderungen top-down und bottom-up.

Wie geht es weiter mit der Kulturentwicklung bei UNIQA?

Wir haben bisher ein erstes Bewusstsein für das Thema geschaffen – und über die „Experimentation Journeys“ rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingebunden – von circa 15.000 Mitarbeitenden in der Gruppe. Man sieht also, dass es dauert, bis sich diese Veränderung skaliert. Aber wir wollen die Journeys fortsetzen, bis wir eine kritische Masse erreicht haben und sich das Thema im besten Fall verselbstständigt. Darüber hinaus binden wir das Culture Office in alle Veränderungsprojekte beratend ein, die derzeit laufend. Denn wir wollen in jedem Veränderungsprozess dem Thema Kultur einen Fokuspunkt geben und dabei vergleichbare Methoden anwenden. Außerdem lassen wir gerade in alle HR-Prozesse – wie Recruiting, Onboarding, Austritt – das Thema Kultur einfließen, um es noch präsenter zu machen.

Interview: Bettina Geuenich

Webtipps

Video zum Kulturwandel bei UNIQA
Video mit Infos zum Projekt

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

Bettina Geuenich

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

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