Future Skills: Wie werden Unternehmen fit für die Zukunft?

Seitdem die Wirtschaft an Fahrt aufnimmt, macht sich der Personalmangel mit aller Wucht bemerkbar. Es scheint, als wären in manchen Branchen die Arbeitskräfte über Nacht verschwunden. Über die Gründe für diese Entwicklung und mögliche Lösungsansätze haben wir mit Wolfgang Bliem, Forscher am ibw – Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft, gesprochen.

Herr Bliem, woran liegt es, dass manche Branchen so plötzlich gravierende Personalengpässe haben?

Einer der Gründe dafür ist, dass einige Branchen wie der Tourismus von der Coronakrise und den damit verbundenen Schließungen und Lockdowns stärker betroffen waren als andere. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in dieser Zeit die Erfahrung gemacht, dass ihre Branche krisenanfällig ist – und sie haben sich dann anderweitig umgesehen.

Wolfgang Bliem, Forscher am ibw (Foto: Lukas Lorenz)


Zugleich kommt jetzt der demografische Wandel immer stärker zum Tragen. Er sorgt dafür, dass Unternehmen quer über alle Branchen massiv Personal suchen, weil viele Menschen in Pension gehen und der Nachwuchs fehlt. Das ist in Österreich regional sehr unterschiedlich. Wir haben in Wien eine wachsende und junge Bevölkerung. Der demografische Knick ist hier viel geringer als in praktisch allen anderen Bundesländern, vor allem in den ländlichen Regionen. Daher stellt sich die Frage, wie wir die Menschen dorthin bringen, wo die Betriebe sind. Das ist auch ein Mobilitätsthema: Wie verbinde ich die Regionen, in denen die Menschen leben, mit den Regionen, in denen die Arbeitsplätze sind?


Ein dritter Aspekt, der hier noch hineinspielt: Immer mehr Menschen, die es sich leisten können, versuchen weniger zu arbeiten. Dieser Trend war schon vor Corona da, aber ich glaube die Pandemiesituation hat ihr noch mal einen Pusch gegeben, weil einige in dieser Zeit ins Nachdenken gekommen sind und gemerkt haben: Es geht auch mit weniger.

In welchen Bereichen macht sich der Personalmangel besonders bemerkbar?


Wir haben im Pflegebereich eine große Lücke. Es gibt im Tourismusbereich große Klagen, dass Betriebe ihren Bedarf nicht decken können. Aber dasselbe gilt auch für den technischen Bereich, die IT und manche kaufmännischen Büroberufe. Aber im Prinzip gibt es quer über alle Branchen einen steigenden Bedarf – und die Summe ist das eigentliche Problem. Der ÖBB als größter Schienenverkehrsanbieter steht beispielsweise gerade vor einer riesigen Pensionierungswelle und braucht Tausende von neuen Mitarbeitenden in den nächsten Jahren. Da stellt sich die Frage, wo die herkommen sollen, wo alle anderen ja auch suchen.

Wo gibt es denn noch Potenziale?

Wir haben trotz demografischer Lücke und Arbeitskräftebedarf steigende Erwerbsquoten. Das heißt, es arbeiten immer mehr Menschen. Sie arbeiten teilweise weniger als früher, aber nach Köpfen gezählt sind mehr Personen in Arbeit. Und wir haben immer noch Potenziale bei den Frauen, von denen immer noch relativ viele nicht erwerbstätig sind, aber auch bei Geringqualifizierten, von denen nahezu 50 Prozent derjenigen ohne formale Bildung nicht im Erwerbsleben stehen.

Wir müssen uns also überlegen, wie wir diese Potenziale nutzen können.
Im Tourismus merken wir zum Beispiel, dass die Lehrlingszahlen steigen, obwohl die Nachfrage nach Jobs in dieser Branche insgesamt niedrig ist. Eine Erklärung dafür wäre, dass die Betriebe dazu übergehen, Jugendliche aufzunehmen, die bisher keine Chancen bekommen haben. Natürlich steigt der Aufwand für die Betriebe, wenn sie Lehrlinge einstellen, die Lücken in der Qualifikation haben. Aber eigentlich ist die Ausbildung ja auch dafür da, dass wir jungen Menschen etwas beibringen.

Welche Fähigkeiten werden die Betriebe künftig benötigen? Was sind die Future Skills?

Das sind zum einen Kompetenzen im Zusammenhang mit Digitalisierung – von den Grundkompetenzen bis hin zu Spitzenkompetenzen, die Programmierer, Entwicklerinnen für Artificial Intelligence oder Data Scientisten mitbringen. Wir werden in Zukunft verstärkt Kompetenzen im Bereich Klimawandel und Energieffizienz brauchen. Das reicht von einem gewissen Mindset (Wie arbeite ich ressourcenschonend?) bis hin zu speziellen Fähigkeiten in Bereichen wie Mobilität, Gebäudedämmung, Materialentwicklung oder Energieerzeugung. Hier sind wir nach meiner Wahrnehmung gerade in einer Orientierungsphase, in der Betriebe sondieren, was sie künftig brauchen.


Darüber hinaus ist eine Erkenntnis aus vielen Studien, dass bestimmte sozialen Kompetenzen und Methodenkompetenzen zunehmend gefragt sind – zum Beispiel Teamkommunikation, Verhandlungsfähigkeiten, Kreativität oder offenes Denken. Hier bewegt man sich oft schon in den Bereich der Arbeitseinstellungen hinein.

Lässt sich hier aus Ihrer Sicht eine Rangfolge ausmachen? Welche Kompetenzen sind wichtiger: fachliche oder überfachliche?

Wir sollten aber nicht vergessen, dass wir ohne Fachkompetenzen Berufe nicht ausüben können. Manchmal bekommt man den Eindruck, man brauche keine Fachkompetenzen mehr, sondern es reiche, die richtigen Einstellungen oder sozialen Kompetenzen mitzubringen. Dabei wird argumentiert, dass wir uns nur über diese sozialen Kompetenzen von Robotern und Artificial Intelligence abgrenzen können. Auch wenn das grundsätzlich richtig ist, sind Fachkompetenzen die Basis, ohne die es nicht geht.

Aktuell ist viel die Rede vom sogenannten Skill Gap, also einer Qualifizierungslücke in den Unternehmen. Wie groß sind diese Skill Gaps wirklich – bezogen auf Österreich?

Das zu beziffern ist schwierig. Es gibt internationale Erhebungen dazu, aber da die nationalen Bildungssysteme so unterschiedlich sind, ist nicht ganz klar, ob man die Ergebnisse für bare Münze nehmen kann. Aus unserer Erfahrung sind die hiesigen Berufsbildungssysteme auch so gut aufgestellt, dass eine gute Basis an Kompetenzen vorhanden ist. Die Frage ist nur, wie wir dafür sorgen können, dass die Fähigkeiten, die künftig wichtig werden, schneller vermitteln können.

Wie gelingt es, künftig schneller auf neue Anforderungen zu reagieren?

Wenn es stimmt – und dafür gibt es durchaus Anzeichen –, dass sich der Qualifikationsbedarf künftig immer schneller verändern wird, dann müssen wir uns zunächst die Basis anschauen: Welche Fähigkeiten bleiben über die Zeit wichtig? Was sind die Grundlagen in den jeweiligen Berufsbereichen? Wenn wir das Bild des Hausbaus nehmen, dann würde diese Basis dem Fundament und dem Rohbau entsprechen. Der Innenausbau geht in den Bereich der Weiterbildung. Wenn das Fundament super sitzt und der Rohbau hält, dann ist es für diejenigen, die für den Innenausbau, für Um- und Anbauten zuständig sind, relativ einfach, zusätzliche Fähigkeiten zu vermitteln.

Wir sollten uns stark darauf besinnen, was die Erstausbildung, die Lehre, leisten soll. So muss der Schweißer die physikalischen Grundlagen seines Berufs beherrschen, die Materialkunde und die Standardtechniken. Darauf aufbauend kann er dann leicht neue Verfahren lernen. Wichtig ist dabei, dass junge Menschen die Grundlagen nicht nur kennen und anwenden können, sondern auch verstehen, warum das so ist. Denn erst wenn wir die Zusammenhänge nachvollzogen haben, können wir weiterentwickeln und weiterlernen.

Interview: Bettina Geuenich

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

Bettina Geuenich

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

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