Future Learning: Selbstgesteuertes Lernen ist fortan ein Muss

Selbstgesteuertes Lernen ist in Zukunft zunehmend gefragt. Bild zum Beitrag Future Learning: Selbstgesteuertes Lernen ist fortan ein Muss
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Die Herangehensweise an betriebliche Weiterbildung muss sich grundlegend wandeln, um Mitarbeitende mit den Skills auszustatten, die sie künftig brauchen. Selbstbefähigung und permanenter Entwicklungswille rücken beim beruflichen Lernen nach vorn.

In einem sich zunehmend dynamisierenden Umfeld werden Karrieren immer beweglicher. Sprünge zwischen Aufgaben, Fachgebieten, Projektteams und Arbeitgebern sind völlig normal. Viele wechseln auch die Branche und verlassen sogar ihre Heimatländer, um immer wieder neu und anders zu glänzen. Damit verbunden ist eine lebenslange, selbstgesteuerte Lernbereitschaft, um die eigenen Kompetenzen zu aktualisieren, zu erweitern, zu verbreitern und auf Höchststand zu halten. Wir alle müssen eigenhändig für persönliches Wachstum sorgen – und damit auch für unsere Employability.

Längst verändern sich die Berufsbilder rasch. So ergab eine Untersuchung des Technologieconsultinganbieters Gartner, dass fast jede dritte Qualifikation, die noch 2018 für eine Stelle erforderlich war, 2022 nicht mehr benötigt wurde – und dass die durchschnittliche Anzahl der Qualifikationen pro Stelle stetig steigt. Zudem brauchen die Unternehmen ständig ganz und gar neue Expertisen, weil sich die fortschreitende Digitalisierung immer stärker mit Nachhaltigkeitsthemen verknüpft.

Fortan unumgänglich: Upskilling und Reskilling

Wer einen „Beruf fürs Leben“ ergriffen hat, wird arbeitslos, sobald dieser automatisiert oder nicht mehr gebraucht wird. Das einmal Gelernte altert schneller als je zuvor, wird also zunehmend wertlos. Fortan geht es um einen onlinebasieren Zugriff auf Wissen dann, wenn wir es brauchen. Das Netz weiß immer mehr. Entscheidend ist, die guten von den schlechten Lernquellen zu unterscheiden, und in der Fülle der guten Quellen so effizient zu navigieren, dass sich die eigenen Handlungskompetenzen erhöhen (Upskilling).

Zum Lernen gehört auch das Entlernen, um sich neue Skills anzueignen (Reskilling). Veraltetes Wissen und Können muss weg, damit das Neue Platz finden kann. Die schlechte Nachricht: Verlustaversion betrifft auch die persönliche Weiterentwicklung. Unser Gehirn schützt das Gelernte, weil es uns geholfen hat, zu überleben. An die 90 Prozent unserer eingefahrenen Denk- und Handlungsmuster sind Automatismen. Die, die wir nicht länger brauchen, müssen wir löschen und überschreiben. Doch das ist gar nicht so leicht. Sehr, sehr schnell fallen wir in frühere Muster zurück.

Die gute Nachricht: Unser Gehirn ist bis ins hohe Alter lernfähig – und auch lernbereit, wenn wir das Lernen entsprechend gestalten. Nervenzellen und deren neuronale „Verdrahtungen” entstehen und vergehen, das heißt, wir lernen immer und vergessen ständig. Jede Nacht wird aufgeräumt. Unbrauchbar Gewordenes entsorgt unser Gehirn, um neue Verbindungen zu schaffen. Diese als Neuroplastizität bekannte Wandlungskraft unseres Oberstübchens sorgt dafür, dass wir uns an neue Situationen rasch anpassen können. Doch was wir nicht auffrischen und wiederholen, verkümmert.

Von der Fremdbestimmung zur Selbststeuerung

„Wie bereiten wir Menschen auf Jobs vor, die gegenwärtig noch gar nicht existieren, auf die Nutzung von Technologien, die noch gar nicht entwickelt sind, um Probleme zu lösen, von denen wir heute noch nicht wissen, dass sie bestehen werden?“, so der Lernpädagoge Werner Sauter. Mit starren Trainingsprogrammen und formalisierten Weiterbildungsangeboten klappt das jedenfalls nicht. Umfängliches Lernen auf Vorrat in Form von standardisierten Paketen ist nur noch marginal sinnvoll.

Früher trug der Arbeitgeber die Verantwortung für die innerbetriebliche Weiterbildung. Nach einem vordefinierten Plan mussten die Beschäftigten Fortbildungen absolvieren, ganz egal, wie nötig oder nützlich sie waren. Hauptsache, den Vorgaben wurde Genüge getan. So hieß es beispielsweise: „Sie haben die vorgeschriebenen Weiterbildungstage noch nicht gemacht. Suchen Sie sich einfach irgendwas raus, damit wir das abhaken können.“ Zudem wurden die Fortzubildenden hierarchisch streng voneinander getrennt.

Größere Defizite haben Führungskräfte erst im Mitarbeiterjahresgespräch offengelegt, also Wochen oder Monate nach Aufdecken der Mängel. Aus einem Katalog oder dem Web wurde ein Anbieter gewählt. Irgendwann fand das Seminar dann endlich statt. Fertig! Der Transfer in die Praxis und der anschließende Umsetzungserfolg? Die meisten Führenden hakten nicht einmal nach. Das traurige Resultat: Praktisch blieb alles beim Alten.

Selbstlernkompetenz und Learning Communitys

Viele Personalentwicklungsprogramme rennen den Entwicklungen nur hinterher. Weiterbildungsverantwortliche konzipieren sie reaktiv dann, wenn sich Notwendigkeiten zeigen, antizipieren aber nicht die Bedarfe der Zukunft. So kommt es, dass große Teile der Belegschaft vielerorts den Anforderungen der fortschreitenden Digitalökonomie nicht mehr gewachsen sind.

Wer sein Qualifizierungsniveau nicht ständig durch eigenen Antrieb erhöht, entsorgt sich in Zukunft selbst. Ambitionierten Talenten kann das nicht passieren. Wenn sie Informationen benötigen, um an ein neues Thema heranzugehen, dann warten sie nicht bis zum nächsten Lehrgang. Sie starten flugs eine Online-Recherche. Wer die klügsten Fragen ans Internet stellt und weiß, wo man die besten Antworten findet, dem sind die entscheidenden Vorsprünge sicher.

Symptomatisch für neue Formen der Selbstlernkompetenz sind Learning Communitys, in denen Menschen voneinander und miteinander lernen. Die in der Sharing-Economy sozialisierte junge Generation hat eben längst verstanden, dass sie arm bleibt, wenn sie alles für sich behält, und reich wird, wenn sie teilt. Das gilt vor allem für Wissen. Es verflüchtigt sich, wenn wir es horten. Wenn Wissen aber frei seine Bahnen zieht und sich weitläufig vernetzt, kann dies zu erstaunlichen Fortschritten führen.

Neue Lernkonzepte: kollaborativ, digital, vernetzt

Das selbstgesteuerte Lernen findet vor allem digital statt. Dazu gehören Mini-Studiengänge an Online-Universitäten, Videos von Ted Talks auf der ganzen Welt, Learning Games, Lern-Podcasts, Webinare, Lern-Apps, Erklärfilme auf YouTube & Co. Statt Schulungen abzusitzen, integrieren wir lieber relevante Lerneinheiten „on demand“ zeit- und ortsunabhängig in den Arbeitsalltag. So eignen wir uns neues Wissen ganz genau dann an, wenn wir es brauchen. Hier eine Auswahl möglicher Lernmethoden:

Micro Learning: Dabei arbeiten wir kompakte Lern-Bausteine, auch Learning Nuggets genannt, in circa fünf Minuten eigenständig durch. Das kann zum Beispiel ein kleines Lernspiel, ein kurzer Fachtext oder ein Quiz zur Selbsteinschätzung sein. Ein „Learn more“-Knopf am Ende des Nuggets führt den User zu weiteren thematisch passenden Lernangeboten.

Lunch & Learn: Hierbei geben Kollegen und Kolleginnen ihr Wissen bei einem Mittagessen weiter. Die Themen stellen sie in eine interne Lernplattform ein. Wer interessiert ist, meldet sich freiwillig an. Eine Intervention dauert maximal 15 Minuten. Sie sollte möglichst lebendig und frei von Fachjargon sein. Danach ist fünf Minuten Zeit für Fragen. Im Anschluss können bilaterale Gespräche für eine weitere Vertiefung sorgen.

Interne Ted Talks: Hier stellen Mitarbeitende ihre Lern- oder Innovationsprojekte in Anlehnung an das Ted-Talk-Format vor, zum Beispiel einmal pro Woche im Team oder einmal im Monat vor der gesamten Firma. Die Themenangebote für solche Lernevents stehen auf der Lernplattform. Per Voting entscheiden die Kolleginnen und Kollegen, welche davon breites Interesse finden und folglich auf die Bühne kommen.

WOL-Communitys: Dies sind selbstorganisierte Working-out-Loud-Lerngruppen von circa fünf Personen aus unterschiedlichen Bereichen. Sie treffen sich digital und/oder analog zwölf Wochen lang einmal wöchentlich für eine Stunde, um sich mit individuellen Weiterentwicklungsaufgaben zu befassen und selbstgesteckte Lernziele gemeinsam zu erreichen.

Reverse Mentoring: Beim Reverse Mentoring dreht man das klassische Mentoring um. Der Junior coacht den Senior auf solchen Themengebieten, die Jung besser kann als Alt. Ziel ist es, die digitale Fitness im Unternehmen insgesamt zu erhöhen, Prozesse und Strukturen zu verjüngen, altgewohnte Kommunikations- und Arbeitsweisen an die Erfordernisse der Zukunft anzupassen sowie ältere Kollegen, Führungskräfte und das Topmanagement mit der Lebenswelt der Millennials vertraut zu machen. Es ist ein hervorragendes Tool, um eine lernende Organisation aufzubauen.

Smart Learning: Hierbei lernen Menschenmittels Künstlicher Intelligenzen (KI). Beim Einsatz von Augmented Reality (AR) geht es um Informationen, die in eine Datenbrille eingeblendet werden. Bei der Virtual Reality (VR) tauchen die Lernenden komplett in eine virtuelle Wirklichkeit ein (Immersion). Digitale Lernassistenten verknüpfen Wissen aus der digitalen Welt mit der aktuellen Lernsituation einer Person und stellen personalisierte Lernangebote zusammen. Mithilfe digitaler Gesprächspartner (Chatbots) lernt diese interaktiv. Schließlich können Avatare, also virtuelle Stellvertreter, in die Tiefen des Web geschickt werden, um nach Erkenntnistrüffeln zu fahnden.

Peer-to-Peer-Lernplattformen: Die Mitarbeitenden (Peer = der Gleichrangige, Gleichgestellte) wissen meist sehr viel besser als Höhergestellte weit weg vom Schuss, welche Lerninhalte für die Kollegen und Kolleginnen hilfreich sein können und was alle gemeinsam weiterbringt. So wird auf firmeninternen P2P-Lernplattformen passender Lern-Content in Eigenregie kuratiert. Solche Plattformen sind für alle Beschäftigten zugänglich. Sie haben Like- und Kommentarfunktionen, fördern so die Interaktion und das Vernetzen.

Literaturtipp

Bahn frei für Übermorgengestalter. Von Anne M. Schüller. Gabal Verlag 2022. Das Buch zeigt 25 rasch umsetzbare Initiativen und weit über 100 Aktionsbeispiele für Unternehmen, die sich mit folgenden Fragen beschäftigen: Wie machen wir die Menschen stärker? Wie optimieren wir die Zusammenarbeiten? Und wie gelingt es uns, die Innovationskraft im Unternehmen zu stärken?

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Anne M. Schüller
Businesscoach, Keynote-Speaker, Fachautorin | Website

Anne M. Schüller ist Businesscoach, Keynote-Speaker und Fachbuchautorin. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.

 

 

 

Anne M. Schüller

Anne M. Schüller ist Businesscoach, Keynote-Speaker und Fachbuchautorin. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Vom Business-Netzwerk LinkedIn wurde sie zur Top-Voice 2017/2018 und vom Business-Netzwerk Xing zum Spitzenwriter 2018 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager sowie zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.      

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