Gesund führen: Konflikte lösen und psychische Belastungen reduzieren

Zwei Jahre Coronapandemie haben in den Organisationen ihre Spuren hinterlassen: Erschöpfung und Unsicherheit bestimmen vielerorts das Klima. Gerade jetzt benötigen Unternehmen eine gute Beziehungs- und Gesprächskultur. Führungskräfte können dabei eine wichtige Rolle spielen. Doch wie gelingt eine gesunde Führung, die auch Konflikte aktiv angeht?
Psychische Belastungen sind die Hauptgründe für Fehltage
Schon vor Corona standen psychische Störungen und Beeinträchtigungen wie Stress, Depressionen oder Burn-out an erster Stelle der Krankheitsgründe. Sie sind nicht nur die Hauptursache für Fehltage, sondern verursachen auch besonders häufig längerfristige Erwerbsminderungen (Berger 2018).
Jede/r Zweite leidet im Laufe des Lebens an einer psychischen Störung, wie epidemiologische Studien zeigen. Zudem gilt als gesichert, dass somatische Erkrankungen des Muskel-Skelett-Apparats, der Atemwege oder des Herzens psychogene Anteile haben. So fördern psychische Faktoren wie monotone Arbeitsbedingungen und Zeitdruck Nacken- und Rückenschmerzen. Ebenso eindeutig zeigt sich eine Korrelation von Stress und Immunabwehr. Wer stark unter Stress steht, hat ein höheres Risiko für Infektionskrankheiten (Struhs-Wehr, 2017).
Die Pandemie hat die psychischen Belastungen für viele Menschen zusätzlich gesteigert. In einer aktuellen Erhebung des Portals karriere.at vom April 2022 gibt die Hälfte der 1.002 befragten Arbeitnehmenden an, dass Corona ihren persönlichen beruflichen Stress gesteigert habe. Wie groß die Belastung ausfällt, hängt von individuellen Faktoren ab. So kam eine Studie der Universität Wien vom Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 zu dem Schluss, dass sich Menschen, die ihren Beruf nicht im Homeoffice ausüben konnten, besonders gestresst, weniger gut informiert, weniger wertgeschätzt und weniger fair behandelt gefühlt haben.
Führung auf individueller und organisationaler Ebene
Wie können wir nun nach zwei Jahren Pandemie den psychischen Belastungen und Erschöpfungszuständen begegnen? Entlastung und Sinnstiftung bieten eine positive Art der Führung, die heute gefragter ist als je zuvor.
Wussten Sie, dass sich eine Führung, die auf Wertschätzung und Anerkennung setzt, doppelt rechnet? Zum einen verursacht es keine Kosten, wenn wir Menschen wertschätzen und ihre Leistungen anerkennen. Wir müssen „nur“ unsere Haltung und Kommunikationskompetenz hinterfragen und gegebenenfalls anpassen. Zum anderen hat wertschätzendes und anerkennendes Führen oft einen größeren Effekt auf die Arbeitsfähigkeit als herkömmliche Gesundheitsangebote. Denn gute soziale Beziehungen stärken die psychische Gesundheit nachhaltig.
Dabei sollten Unternehmen auf zwei Ebenen ansetzen: auf der Ebene des Individuums und der Ebene der Organisation. Die Unternehmenskultur prägt die Menschen und diese wiederum prägen die Organisation (Berger 2018). So ist es nicht nur die Aufgabe der einzelnen Vorgesetzten, gesund zu führen, auch die Organisation muss Regeln und Strukturen haben, die Gesundheit fördern und Leistung ermöglichen. Um diese strukturelle Führung zu gewährleisten, können Unternehmen an verschiedenen Stellschrauben drehen: Darunter sind die Werte und Strategien der Organisation ebenso wie die Gestaltung von Gesundheits- und Konfliktmanagement.

Was gesunde Führung bewirkt
Organisationen können einen gesundheitsbewussten Führungsstil aktiv fördern, etwas über die Auswahl der Führungspersönlichkeiten oder über deren Entwicklung. Fest steht: Je mehr sich die Führungskraft als Interaktionspartner versteht und positive soziale Beziehungen erlebbar macht, desto eher
- werden sich die Menschen im Unternehmen gefördert fühlen,
- wird eine vertrauensvolle Kommunikation auf Augenhöhe möglich sein,
- wird die intrinsische Motivation hoch sein,
- werden Beschäftigte unternehmerisch denken und Verantwortung übernehmen,
- werden Commitment und Innovationsgrad steigen.
Human Resources weiß, dass eine hohe Motivation einen positiven Effekt auf die Produktivität hat. So ist es naturwissenschaftlich belegbar, dass sich unsere Arbeitsfähigkeit verbessert, wenn wir das Leistungshormon Dopamin ausschütten. Zudem steigt unser Wohlbefinden, wenn wir das Vertrauenshormon Oxytozin produzieren. Mit zunehmendem Wohlbefinden entspannen wir uns, der Blutdruck sinkt, was wiederum das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert.
Wozu also die Auswirkungen von negativem (kränkendem) Führungsverhalten und Dauerstress in Kauf nehmen? Damit fördern wir in Zeiten von Corona und Facharbeitermangel zusätzlich das Risiko, dass Menschen Kreativität und Energie verlieren oder gar ganz ausfallen.
Konfliktkultur und Betriebliches Gesundheitsmanagement
Vor diesem Hintergrund können Gesundheitsmanagement und Konfliktmanagement dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft ganzer Organisationen zu verbessern. Der Einwand, dass sich beides nicht unmittelbar auf den Unternehmenserfolg auswirkt, lässt sich mit Zahlen widerlegen. Studien der Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG und PWC belegen, dass Konfliktkosten unterschätzt werden, sich aber gut berechnen lassen.
Kosten zu senken, ist oft viel leichter als Gewinne durch Umsatzsteigerung zu realisieren. Die Kosten, die durch nicht gelöste Konfliktsituationen in Unternehmen entstehen können, sind enorm.

Was oft unterschätzt wird: personelle und strukturelle Wirkungsketten
- An jedem Betroffenen hängen Personen, die mitbetroffen sind und einen Teil ihrer Arbeitszeit in den Konflikt investieren
- Setzten wir andere Personen an deren Stelle – wäre der Konflikt beendet (interpersonaler Konflikt), oder würde er von den anderen fortgesetzt (struktureller Konflikt)?
- Kundenbeziehung leiden durch Qualitätsverlust
- Image- und Umsatzverlust droht bei Mitarbeiterfluktuation
Gesund führen bedeutet mediativ führen
Doch wie lässt sich Konfliktmanagement nun in der Praxis leben und fördern? Entscheidend ist auch hier die Führung. Unternehmen sollten einen mediativen, also vermittelnden Führungsstil etablieren, der Konflikten und Spannungen in Teams vorbeugt und diese bearbeitet, wenn sie auftauchen. Hilfreich ist dabei…
- Ungewissheit zu vermeiden und möglichst viel Transparenz und Klarheit zu schaffen.
- Wissen zum Thema Konfliktprävention zu erwerben und zu vermitteln (Konfliktanalyse, Eskalationsstufen, Kommunikationsmodelle wie Sender-Empfänger-Modell, Transaktionsanalyse, Wahrnehmung und Konstruktivismus, Gesprächstechniken).
- eine passende Haltung zu fördern (positive Leadership, Problemlösungsorientierung).
- Konflikte und Missverständnisse rasch anzusprechen.
- Lösungsorientiert statt problemorientiert zu agieren. Denn die Suche nach Schuldigen bindet Energie und hilft nicht weiter.
- externe Hilfe zu suchen (und diese als Unternehmen anzubieten), wenn Führungskräfte an eigene Grenzen stoßen.
- „gewaltfrei“ zu kommunizieren und dies im Unternehmen zu trainieren (Ich-Botschaften, aktiv Zuhören, Begegnung auf Augenhöhe).
- klare Regeln vorzugeben und selbst einzuhalten.
- durch Vorleben (Vorbildfunktion) zum Nachahmen zu motivieren.
- als Führungskraft Anteil zu nehmen.
- über eigene Fehler zuerst zu sprechen.
- Feedback zu üben (Ich-Botschaften, konstruktiv, konkret, angemessen, rechtzeitig, klar und sachlich, beschreibend statt wertend, brauchbar, Reaktion vorhersehen, Setting gestalten, Empfangsbereitschaft prüfen, Zeit zur Reflexion geben).
- Selbstfürsorge nicht zu vergessen: Eigene Stressmuster kennen und auflösen, um empathisch führen zu können.
Wenn wir in der Führungsarbeit Konflikten vorbeugen und diese aktiv lösen, dann reduzieren wir auch psychische Belastungen. Spätestens seitdem Unternehmen diese Belastungen regelmäßig erheben und evaluieren müssen, treten persönliche und strukturelle Konfliktsituationen am Arbeitsplatz noch deutlicher zutage. An hoher Arbeitsproduktivität und -zufriedenheit interessierte Führungskräfte wollen aber nicht nur dem Gesetz (ASchG) genüge tun, sondern auch innerbetriebliche Lern- und Lösungsprozesse in Gang setzen.
Die Psyche dankt!
Führungskräfte müssen integre Vorbilder sein, Mitarbeitende wiederum sollten möglichst „mitwirken“ bei den selbst mitgestalteten Vorhaben. Es gilt, Verantwortung zu übernehmen – für sich und alle anderen. Konfliktmanagement und Betriebliches Gesundheitsmanagement zu leben, bedeutet ehrlich und authentisch sein, konstruktiv zu kommunizieren und gut zu informieren. Wichtig ist auch, achtsam miteinander umzugehen und immer wieder aufeinander zuzugehen. Nicht alle müssen gleich Spitzensportlerinnen werden, ihre Ernährung umstellen oder professionelle Mediatoren sein. Gesundes Miteinander ist vielfältig und hat viel mit innerer Haltung zu tun. Das ist zwar nicht einfach, weil es Veränderungsbereitschaft voraussetzt, aber dafür ist es nicht teuer. Zudem profitieren Menschen auf jeder Hierarchiestufe von der neuen Betriebskultur. Die Psyche dankt dafür!
Literaturtipps
- Praxiswissen Führung / Grundlagen – Reflexion – Haltung. Von Peter Berger, Springer Gabler 2018.
- Betriebliches Gesundheitsmanagement und Führung. Von Karin Struhs-Wehr, Springer 2017.
- Div. Beiträge des Arbeitskreis BGM der Fachgruppe UBIT der WKW. In: BGM – Ein Erfolgsfaktor für Unternehmen. Springer Gabler 2018.
- Resiliente Unternehmenskultur durch Betriebliches Gesundheitsmanagement. Von Ruppi-Lang. In: Herget/Strobl (Hrsg): Unternehmenskultur in der Praxis. Springer Gabler 2018.

Gerda Ruppi-Lang
Als Wirtschaftsmediatorin begleitet Gerda Ruppi-Lang B2B-Streitigkeiten und innerbetriebliche Konflikte. Sie ist Obfrau des Dachverbands Österreichisches Netzwerk Mediation und leitet einen Ausbildungslehrgang für Mediatorinnen und Mediatoren. Als Unternehmensberaterin begleitet sie den Aufbau guter Konfliktkultur und Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM).