Im Ausnahmezustand: Wie Unternehmen Krisen bewältigen

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Foto: Issy Bailey, Unsplash

In der Coronakrise haben sich viele Unternehmen zum ersten Mal intensiv mit Krisenmanagement beschäftigt. Was dabei zu beachten ist und welche Rolle HR dabei spielt, erklärt Thomas Makrandreou, Global Communication Manager bei der ABB AG, Experte für Krisenmanagement und Referent für dieses Thema bei der Akademie für Recht und Steuern, im Interview.  

Thomas Makrandreou, Experte für Krisenmanagement

Herr Makrandreou, Krisen können ganz unterschiedlicher Natur sein – wenn wir zum Beispiel an Pandemien, Finanz-  oder Rohstoffkrisen denken. Was haben Krisen gemeinsam?

Das Wort Krise kommt aus dem Griechischen und meint eine entscheidende Wendung. Laut Duden und dem Gaber Wirtschaftslexikon ist eine Krise sinngemäß ein Dilemma, eine kritische Situation oder Notlage. In der Regel sind es schwierige und komplexe Phasen, die ungeplant, ungewollt und zeitlich begrenzt eintreten und das Potenzial haben, den Fortbestand des Unternehmens substanziell zu gefährden.

Für das betroffene Unternehmen entsteht die Krise meist erst dadurch, dass Informationen nach außen dringen und sich Bevölkerung und Presse sehr stark dafür interessieren. Denn so kann die Reputation des Unternehmens massiv leiden und die Qualität des Managements steht in Frage. Aus diesem Grund ist die Coronakrise auch keine klassische Unternehmenskrise, sondern gesondert zu betrachten.

Inwiefern?

Einerseits sind Unternehmen und Branchen in der Coronakrise sehr unterschiedlich betroffen – auch im zeitlichen Kontext. Einige davon haben von der Pandemiesituation sogar profitiert, wenn wir an den Online-Handel oder den Lebensmitteleinzelhandel denken. Andererseits ist die Coronakrise im Vergleich zu klassischen Unternehmenskrisen nicht von heute auf morgen gekommen. Es hat Wochen gebraucht, bis die Pandemie, ausgehend von China, Österreich erreicht hat. Die Unternehmen hatten also durchaus Zeit, sich darauf einzustellen.

Die Coronakrise ist zudem ein weltweites Phänomen, das die gesamte Wirtschaft betrifft, auch wenn sie sich unterschiedlich stark auf einzelne Branchen und Unternehmen auswirkt. Hier steht kein einzelnes Unternehmen im Fokus, das einen Brand in der Werkshalle erlebt oder Sicherheitsprobleme bei einer Produktlinie hat. Daher würde ich differenzieren zwischen der extern getriggerten Coronakrise und einer intern hervorgerufenen Unternehmenskrise.

Wenn Krisen ganz unterschiedliche Ursachen und Auswirkungen haben, können wir uns überhaupt gezielt auf sie vorbereit?

Ja, das ist schon möglich und Unternehmen sollten sich auch auf Krisen vorbereiten. Denn wenn sie unter Zeitdruck Entscheidungen treffen müssen, auf die sie nicht vorbereitet sind, birgt das große Risiken. Wenn zum Beispiel Verständigungsketten innerhalb der Organisation nicht funktionieren, können widersprüchliche Aussagen nach außen gelangen, was die Reputation schädigt. Ebenfalls sehr negativ ist es, wenn die Mitarbeitenden  für sie relevante Informationen über ihren Arbeitgeber aus den Medien erfahren, weil das einen massiven Vertrauensbruch zur Folge hat. Da hilft es, wenn Organisationen bereits ein Krisenmanagement aufgebaut haben, bevor sie unvorbereitet mit einer Krise konfrontiert werden.

Was bedeutet das konkret?

Krisenmanagement ist eine besondere Art der Führung mit der Aufgabe, alles zu vermeiden, was das Unternehmen substanziell gefährdet. Das Krisenmanagement soll Krisen vorbeugen und dazu beitragen, sie zu bewältigen. Im Prinzip ist Krisenmanagement die Summe aller Handlungen, die Krisen so klein wie möglich halten und dabei helfen, sie professionell anzugehen. Ein gutes Tool dafür ist ein Krisenhandbuch, das klar festlegt, wer im Fall einer Krise welche Aufgaben wann zu erledigen hat. Dazu gehört auch, zu definieren, was das Unternehmen überhaupt als Krise definiert.

Warum ist das so wichtig?

Es geht darum, zu unterscheiden, welches Potenzial verschiedene Ereignisse haben, das Unternehmen zu schädigen. Davon hängt ab, wie das Krisenmanagement darauf reagieren muss. Sprechen wir von einem Problem, einem Vorfall oder einer schweren Krise? Wenn sich ein Mitarbeiter den Fuß bricht, sind wir bei einem Vorfall. Gibt es mehrere Schwerverletzte oder gar Tote, dann ist das ganz anders einzuordnen. Je nach Einordnung sind andere Vorgehensweisen gefragt. Daher macht es Sinn, potenzielle Krisen zu kategorisieren und zu bewerten – zum Beispiel in einer dreistufigen Skala von „leicht“ über „mittel“ bis „schwer“. Die spezifische Klassifizierung von Ereignisfällen kann von Unternehmen zu Unternehmen ganz unterschiedlich sein.

Wer sollte in das Krisenmanagement involviert sein?

Das hängt von der Art und Größe des Unternehmens ab. Wenn wir ein Unternehmen mit einigen hunderten Mitarbeitenden vor Augen haben, sollte es ein „Krisenkernteam“ haben, möglicherweise auch ein separates Team für die Krisenkommunikation und ein erweitertes Krisenteam. Damit Krisenteams rasch Entscheidungen fällen können, sollten sie so klein wie möglich und so groß wie nötig sein. Sie sollten nicht hierarchisch, sondern nach Kompetenz besetzt und gegliedert sein. Der Krisenstab braucht unmittelbaren Zugang zu den Unternehmensentscheidungen, wenn nicht ohnehin Vorstand oder Geschäftsführung Teil des Krisenstabs sind, was sich durchaus empfiehlt.

Wann sollte HR in einen Krisenstab integriert werden?

Die Coronapandemie ist ein Paradebeispiel für einen Fall, bei dem HR unbedingt mit an Bord sein muss. Denn sie hat mannigfaltige Auswirkungen auf die Beschäftigten und es gibt viele Schnittstellen zum Arbeitsrecht. Dasselbe gilt für Arbeitsunfälle und dergleichen: Es gibt viele Szenarien, bei denen HR eine entscheidende Rolle einnimmt – und natürlich auch zur Lösung beitragen sollte.

Wie sollten Entscheidungen in einem Krisenteam fallen?

Sie sollten nicht zwingend hierarchisch getroffen werden, sondern nach Kompetenz. Wenn es darum geht, mit den Medien zu kommunizieren, dann sollte das idealerweise nicht die Geschäftsführung unabgestimmt und unvorbereitet tun. Sie ist gut beraten, sich erst einmal Zeit zu nehmen, genau zu schauen, wie der aktuelle Wissensstand ist und was sie wissen muss, um Anfragen kompetent beantworten zu können. Das Zusammentragen der Informationen ist auch mit Blick auf rechtliche  Implikationen von Krisen relevant. Daher hilft es einem Unternehmen nicht, wenn jemand in einer Krise mit Halbwissen vorprescht.

Was ist bezogen auf die Inhalte der Kommunikation zu beachten?

Insgesamt ist es wichtig, eine einfache für alle Stakeholder klar verständliche Sprache zu verwenden und sich nicht in Fachbegriffen zu verlieren. Es kann auch ratsam sein, die Krisensituation nicht nur einmalig zu besprechen, sondern auch Updates zu geben, möglicherweise Q&As zu erarbeiten, vor allem für die interne Kommunikation. Die Kommunikationsverantwortlichen können Verhaltenshinweisen beschreiben, Empfehlungen abgeben, auch Kontaktdaten nennen, beispielsweise zu Stellen, bei denen man sich medizinische oder psychologische Hilfe holen kann. Es ist auch legitim beziehungsweise durchaus empfehlenswert klar zu artikulieren, was das Unternehmen zu einem bestimmten,  frühen Zeitpunkt eines Krisenereignisses noch nicht weiß, und dies offen zu legen, um damit zum Beispiel auch ungewünschten Spekulationen vorzubeugen.

Am Beispiel Covid-19 zeigt sich, dass man nicht einfach davon ausgehen sollte, dass sich alle Mitarbeitenden ständig selbst zu diesem Thema und zum Beispiel den sich teils auch sehr kurzfristig ändernden letztgültigen Maßnahmen immer auf dem Laufenden halten. Daher empfiehlt es sich in solchen Fällen,  relevante Informationen zu sammeln, aufzubereiten, zu aktualisieren und regelmäßig aktiv zu kommunizieren, zum Beispiel über das Intranet oder E-Mails vom Krisenstab. Im Fall von Covid-19 könnte es zum Beispiel auch sein, dass im Unternehmen strengere Regeln gelten als die gerade von der Regierung verordneten.

Was waren Ihre bisherigen Learnings aus der Krisenkommunikation zu Coronazeiten?

Wenn man Corona etwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es, dass sich nun viele Unternehmen ausführlicher mit Krisenmanagement und -kommunikation beschäftigen, auch wenn sie sich vorher noch nie mit der Thematik auseinander gesetzt haben. Das wird hoffentlich dazu führen, dass sie auch auf künftige Krisen mit ganz anderem Hintergrund besser vorbereitet sind. Idealerweise nutzen Unternehmen die aktuelle Situation, um ein Krisenmanagementsystem aufzubauen. Denn es zeigt sich: Wenn wir Krisen strukturiert angehen, regelmäßig durchspielen und den Umgang damit trainieren, werden wir sie deutlich besser bewältigen. 

Interview: Bettina Geuenich

Quelle: Die Langfassung dieses Interviews ist in der Fachzeitschrift personal manager 1/2022 (Januar/Februar) erschienen. www.personal-manager.at

Webtipp: Lesen Sie dazu auch die „Kardinalfehler der Krisenkommunikation“ von Thomas Makrandreou.

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

Bettina Geuenich

Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.

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