Führungskräfte sind in Postcoronazeiten stärker gefordert

Je digitaler die Zusammenarbeit ist, desto wichtiger wird Führung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Technischen Universität (TU) Wien. Das Forscherteam um Wolfgang Güttel vom Continuing Education Center der TU Wien hat 20 Top-Führungskräfte und Personalverantwortliche österreichischer Unternehmen zu zwei Diskussionsrunden per Videokonferenz eingeladen und die Ergebnisse anschließend analysiert. Welche Auswirkungen das hybride und digitale Arbeiten aus Sicht der Managerinnen und Manager hat, beschreibt Studienautor Wolfgang Güttel, Professor am Institut für Managementwissenschaften der TU Wien, im Interview.

Professor Güttel, in Ihrer Studie beschäftigen Sie sich mit New Work in Postcoronazeiten. Was wollten Sie genau herausfinden?
Wir wollten herausfinden, was sich aus Sicht von Geschäftsführern, Managern und Personalisten bezogen auf das Thema New Work in der Postcoronazeit verändert: Was wird bleiben? Was wird sich zurückentwickeln? Und was sind die größten Herausforderungen? Dabei ging es uns um organisatorische, technische und rechtliche Rahmenbedingungen der Arbeit.
Wie haben Sie „New Work“ definiert?
Mit New Work wird vielfach die Anpassung der Arbeitswelt an persönliche Bedürfnisse verstanden, die mehr Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung erlauben. Dazu dienen neben neuen Arbeitszeiten und technologischen Möglichkeiten auch die Nutzung von flexiblen Projektstrukturen mit einem stärker partizipativen Leadership-Ansatz, um Innovation und Weiterentwicklung zu fördern. Während der Coronazeit hat sich unsere Art und Weise, zu arbeiten, markant geändert. Uns hat beschäftigt, in welche Richtung sich diese Veränderungen weiterentwickeln werden.
Wie haben Sie diese Fragestellung untersucht?
Die Delphi-Methode bietet die Möglichkeit, in die Kristallkugel der Zukunft zu schauen. Sie geht davon aus, dass Forschende den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern einen möglichst freien Raum bieten müssen, in dem sich Diskussionen entspinnen können. Daher haben wir zwei Gruppengespräche über Videokonferenzen organisiert mit zehn bis zwölf Teilnehmenden aus Geschäftsführung und Personalmanagement.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde haben wir darüber gesprochen, wie sich rechtliche, organisatorische und technologische Rahmenbedingungen der Arbeit in der Coronazeit verändert haben und weiter verändern. Wir haben auf einem Board mitgeschrieben und alle hatten die Möglichkeit, Modifikationen der Ergebnisse vorzunehmen. So hat sich allmählich eine gewisse Sicht auf die künftige Entwicklung herauskristallisiert.
War die Diskussion kontrovers?
Vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen haben die Teilnehmenden sehr unterschiedlich wahrgenommen. Hier reichten die Einschätzungen von „Das spielt überhaupt keine Rolle“ bis hin zu „Das ist ein großes Hindernis“. Die anderen Themen – also die technischen und organisatorischen Aspekte der Arbeit – wurden tendenziell ähnlicher erlebt.
Was sind aus Ihrer Sicht die prägnantesten Ergebnisse?
Die Studie zeigt sehr deutlich, dass Führung eine sehr wichtige Rolle spielen wird in einer Zeit, in der hybrides und digitales Arbeiten voraussichtlich bedeutsam bleiben. Führungskräfte werden viel stärker als früher gefordert sein, Leistungsbeiträge der Mitarbeitenden zu erkennen, zusammenzufügen und die Teamarbeit zu gewährleisten. Doch auch die Mitarbeitenden selbst sind gefragt, sich selbst zu organisieren, mit anderen abzustimmen und Informationen aktiv einzuholen. Denn sie können sich beim hybriden Arbeiten nicht mehr so einfach persönlich mit Führungskräften und Kollegen abstimmen.
Hinzu kommt, dass Mitarbeitende mehr strategisches Hintergrundwissen benötigen. Sie müssen wissen, in welche Richtung sich ihre Abteilung oder ihr Unternehmen weiterentwickeln soll. Nur dann können sie ihre Arbeitsbeiträge sinnstiftend einordnen. Das geht überwiegend gut in wissensintensiven Bereichen, in denen Expertise eine große Rolle spielt. Aber hybrides Arbeiten findet aktuell auch in Feldern statt, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht so hoch qualifiziert sind. Hier stellt sich die Frage, wie sinnvoll digitales Arbeiten aus dem Homeoffice langfristig ist.
Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf auf Basis Ihrer Studie?
Ich beginne einmal mit den Feldern, in denen der Handlungsbedarf nicht so groß ist: Den geringsten Handlungsbedarf haben die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer im Bereich der Technologie gesehen. Offensichtlich gibt es weder bei Führungskräften noch bei Mitarbeitenden nennenswerte Probleme, mit den relevanten technologischen Werkzeugen umgehen. Das war nie ein größeres Thema, abgesehen vielleicht von Überlegungen zur Datensicherheit. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind im Werden. Der Gesetzgeber hinkt der Arbeitsrealität ja immer ein bisschen hinterher. Aber das betrachten die meisten nicht als größeres Hindernis.
Wo liegen dann die größeren Probleme?
Eines der größten Probleme ist der Qualifizierungsbedarf bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei geht es um jene Qualifizierung, die sie benötigen, um ihre Leistungsbeträge stärker einordnen zu können, weil ihnen der Bezug zur Führungskraft bei der digitalen Zusammenarbeit teilweise fehlt. Außerdem ist die Querabstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen schwieriger. Das trifft besonders neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wer schon länger in der Organisation ist, kann von bestehenden Beziehungen profitieren. Aber für Personen, die neu hinzukommen, sind die Hürden höher, andere zu kontaktieren und sich abzustimmen.
Neue Mitarbeitende, die im Homeoffice sind, können auch nicht beobachten, wie Kolleginnen und Kollegen arbeiten. Die Kontakte reduzieren sich weitestgehend auf die formale Kommunikation. Im besten Fall gibt es einen Mentor oder einer Mentorin sowie Führungskräfte, die intensiv mit den Neuen kommunizieren. In jedem Fall sind Organisationen durch die neuen Arbeitsformen gefordert, an ihrem Onboarding zu arbeiten und ihre Mitarbeiter für die digitale Zusammenarbeit zu qualifizieren.
Welche Herausforderungen birgt die digitale oder hybride Zusammenarbeit für die Führungskräfte?
Führungskräfte müssen beim hybriden Arbeiten klären, wann alle da sein sollten und wann die Teammitglieder mobil arbeiten können. Führungskräfte müssen über die digitale Distanz die Beziehung mit ihren Mitarbeitenden aufrechterhalten und den Austausch innerhalb der Teams gewährleisten. Sonst gehen Vertrauen und Bindung irgendwann verloren.
Eine weitere Herausforderung ist, dass Führungskräfte nicht alles so im Blick haben und auch nicht so feinsteuernd eingreifen können wie bei Präsenzarbeit. Es gibt formale Meetings und Jour fixes. Wenn Führungskräfte richtig gut sind, telefonieren sie zusätzlich viel mit ihren Teammitgliedern. Aber wenn sie das nicht machen, wird es ihnen schwer fallen, die einzelnen Beiträge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ressourcenschonend auf ein gutes Gesamtziel hin zu orchestrieren. Dann laufen sie Gefahr, viel Zeit durch Umwege zu verlieren.
Können sie nicht über Ziele steuern?
Sie können über Ziele steuern. Aber sie können den Weg dorthin nicht mehr so gut feinsteuern. Damit meine ich nicht unangenehmes Mikromanagement, sondern das Abstimmen von Zwischenergebnissen, das Schauen darauf, dass alles in eine gute Richtung geht. Dieses „Management by Walking Around“ ist seit Corona vielfach weggefallen.
Zusätzlich dazu sind Führungskräfte stärker als vor Corona mit Veränderungen konfrontiert: alle ins Homeoffice und zurück, noch eine rechtliche Regelung, wieder eine neue Technologie – deshalb ist permanent das Thema Veränderungsmanagement auf der Agenda. Wenn von der Organisation Änderungen kommen, sind es ja die Führungskräfte, die das in ihre Mannschaften übersetzen müssen.
Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund Qualifizierungsbedarf für Führungskräfte?
Einen Bedarf sehe ich weniger bei den technischen Skills, sondern vielmehr bei den Fähigkeiten im Changemanagement und im Vermitteln von Zielbildern. Führungskräfte sollten ihren Mitarbeitenden das Warum erklären, wenn neue Technologien eingeführt und Veränderungen initiiert werden. Ich kann mich als Führungskraft nicht mehr darauf beschränken, das Tagesgeschäft zu verwalten, sondern muss unterschiedliche Rollen ausfüllen. Diese reichen von der Personalführung über die Informations- und Wissensvermittlung bis hin zum innovativen Changemanagement. Wenn sie sich zu sehr auf ihre Fachexpertise zurückziehen, leiden die Führungsaktivitäten. Das Defizit in der Führung, das daraus resultiert, ist in der Krise noch viel deutlicher spürbar als zuvor. Es führt dazu, dass die Teams ratlos zurückbleiben.
Daher wird aktive Führung also wichtiger?
Für Unternehmen wird es künftig noch viel wichtiger sein als zuvor, gute Führungskräfte zu haben. Daher ist die Bereitschaft auch groß, in Führungskräfte zu investieren. Ein Ergebnis der Studie war, dass Eigentümer und Top-Manager deutlich erkennen, wie abhängig sie von guten Führungskräften sind, weil sie selbst wenig Zugriff darauf haben, was in ihrer Mannschaft passiert. Sie brauchen Hierarchien, damit ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein gewisses Ausmaß an Ausrichtung bekommen. In der Vergangenheit ist die Bedeutung von Führungskräften ja teilweise sehr runtergespielt worden. Der Tenor war, dass man Führungskräfte sowieso nicht mehr braucht und sie nur die „Lehmschicht“ in Unternehmen seien. Jetzt sieht man, welchen Unterschied gute Führung macht. Daher ist es auch so wichtig, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie sich Führungskräfte in Krisen organisieren, was sie beachten müssen in der Arbeit mit ihren Teams und in der direkten Interaktion mit jedem einzelnen Mitarbeiter und jeder einzelnen Mitarbeiterin.
Interview: Bettina Geuenich
Bettina Geuenich ist die Chefredakteurin der Fachzeitschrift personal manager und des blog.personal-manager.at. Sie beobachtet seit rund 20 Jahren die HR-Szene in Österreich und schreibt darüber.