Online-Workshops in der Natur? Ein neues Format mit verblüffender Wirkung

Foto: Kelsey Vere, Pixabay

Unsere Augen und unsere Gehirne sind langsam müde – „Zoom Fatigue“ vom dauernden Online-Arbeiten. Wer als Führungskraft, als Personaler, als Trainerin oder Berater mit Teams arbeitet, erinnert kaum noch, wie das vor Corona war: Besprechungsraum oder Hotel reservieren, Getränke und Moderationsmaterial bereitstellen, Stühle rücken. Oder erinnern Sie sich noch an Ihr letztes Outdoor-Seminar? Irgendwo im Wald, am Fluss oder auf einem Hochseil? Da mussten noch Koffer gepackt, Wanderstiefel rausgekramt, Erste-Hilfe-Tasche mitgenommen und vielleicht sogar Material in den Wald geschleppt werden.

Virtuelle Workshops sind dagegen herrlich praktisch – klick rein, klick raus. Gruppenarbeiten waren noch nie so pünktlich zu Ende, Teilnehmerinnen noch nie so schnell wieder im Plenum zurück. Aber auch, wenn all das Vorteile hat und Teams in den vergangenen Monaten virtuell tolle Leistungen erzielt haben, geht im Online-Workshop-Setting einiges verloren. Die Sehnsucht ist groß – nach Kontakt, Geruch, Begegnung, Bewegung, frischer Luft, echten Erlebnissen und nach einem Körper, der mehr Funktion hat, als einfach nur zu Sitzen.

Ich bin akademische Outdoor-Trainerin und wenn mir vor zwei Jahren jemand vorgeschlagen hätte, meine Outdoor-Workshops vom Berg an den Computerbildschirm zu verlegen, hätte ich ihm den Vogel gezeigt. Dann kam Corona – Outdoor-Workshops waren nicht mehr durchführbar wegen der Ausgangssperre, geschlossener Berghütten und zu vielen Haushalten auf einem Fleck. Und gleichzeitig kamen immer mehr Anfragen von Leuten, die teilnehmen wollten, weil im Lockdown und Homeoffice plötzlich die Frage nach dem beruflichen Sinn lauter wurde – das Thema der Workshops auf dem Berggipfel, die ich vor Corona angeboten hatte.

In mir wuchs die Neugier, ob es möglich sei, diese Outdoor-Workshops online durchzuführen. Vielleicht ist ja im Virtuellen viel mehr möglich, als wir glauben? So habe ich in einer Studie an der Universität Wien überprüft, ob sich der Lernansatz mit dem wir im Outdoor-Setting arbeiten, aufs Online-Setting übersetzen lässt, ohne dabei an Wirkung zu verlieren.

Integrative Outdoor Aktivitäten schaffen Erfahrungsräume

Foto: Clara Bindhardt

Der Ansatz der Outdoor-Trainings nach IOA® (Integrative Outdoor Aktivitäten) nennt sich „handlungsorientiertes Lernen“ und basiert auf der Theorie des systemischen Konstruktivismus. In der Kürze erklärt, geht er davon aus, dass Menschen sich durch Handeln entwickeln, indem sie neue Erfahrungen machen, die nicht in ihre gewohnten Muster passen. So müssen sie neue Handlungsoptionen erproben und integrieren – und lernen dabei.

Als Gestalterin von Lernprozessen ist meine Aufgabe, Erfahrungsräume zu schaffen, die neu sind, aber „strukturähnlich“, die sich also in der Reflexion auf den eigenen beruflichen Alltag oder Kontext übersetzen lassen. Workshopdesign bedeutet demnach, einen Bogen zu spannen, der in Schleifen immer wieder Aufmerksamkeit richtet, Erfahrung ermöglicht, eine intensive Reflexion anschließt und das Gelernte in einer nächsten Erfahrung erproben lässt. Dabei werden alle Ebenen integriert: indoor und outdoor, Aktion und Reflexion, Körper, Emotion und Kognition, vorhergehende und nachfolgende Übungen. Der Ansatz eignet sich für Teamentwicklung, Führungsentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung.

Das Training findet in der Natur statt, weil Natur als Setting für die meisten alltagsfremd ist und weil Natur sich als Gegenüber nutzen lässt, mit dem Teilnehmende in Beziehung treten und daran ihr Verhalten und Handeln beobachten können. Das Arbeiten mit Mythen und Archetypen in der Natur (zum Beispiel der Berg, der Weg, der Baum) ermöglicht einen Zugang zum Unbewussten, der für den Entwicklungsprozess wichtig sein kann (beispielsweise bei unbewussten limitierenden Glaubenssätzen oder Führungsstilen). Anders als in manchen erlebnispädagogischen Ansätzen geht es hier nicht um die Idee, dass Workshops in der Natur automatisch besser oder intensiver wären, dass Natur an sich heilsam sei oder dass Natur als Hindernis genutzt wird, das überwunden werden muss. Allein der Erkenntnisprozess steht im Vordergrund.

Wie das dann konkret im Workshop aussieht? Beim Bergworkshop nutzen wir jede Wegstrecke, um zu zweit oder zu dritt Fragen zu besprechen, es gibt Symbolarbeit, Lebenswegarbeit im Wald, Aufstellungen auf der Wiese oder eine Übung mit Augenbinden oben auf dem Bergplateau. Wir nutzen die 1.000 Höhenmeter Aufstieg am ersten Tag, um dabei den eigenen Mustern auf die Spur zu kommen: „Wie gestalte ich meine Wege?“, „Wie gehe ich mit Herausforderung um?“, „Was wäre ein Entwicklungsschritt?“

Vom Berg an den Computerbildschirm?

Foto: Goumbik, Pixabay

Beim Übertragen aufs virtuelle Setting war also klar, was alles mit musste: Das Arbeiten drinnen und draußen, die Körperübungen um die Aufmerksamkeit zu richten, die Möglichkeit für Erfahrungen, auf die reflektiert werden kann, um Muster sichtbar zu machen und Neues zu erproben, das Arbeiten mit Bildern, Symbolen, Lebensweg und Aufstellungen. Es braucht auch online den Raum, um Entwicklungsschritte zu erproben, intensive Reflexionen allein, zu zweit, in Kleingruppen und im Plenum.

So entstand ein Online-Outdoor Design, das mit wissenschaftlich validierten Tests begleitet wurde. Das verblüffende Ergebnis: Die Wirkung war im Online-Setting genauso hoch, wie im Berg-Setting. Beide Workshops haben den Grad an Klarheit und Sinnerfüllung der Teilnehmenden in hohem Maß und langanhaltend erhöht. Auch alle anderen gemessenen Dimensionen zeigen die hohe Wirkung in beiden Settings, die sich aber nicht unterscheidet, egal ob der Workshop am Berg oder am Bildschirm stattgefunden hat. Die Werte der Kontrollgruppe dagegen, die in der Studie war, ohne an einem Workshop teilzunehmen, haben sich in keiner Dimension verändert.

Nicht das Setting ist entscheidend, sondern das Design

Foto: D. Seebacher

Die Wirkung eines Workshops liegt also nicht am Setting (online oder offline), sondern am Design. Ist die Schere vielleicht nur im Kopf, dass Präsenz-Settings wirksamer sind als Online-Settings?

Die Studie zeigt, dass virtuelles Lernen sogar manche Vorteile hat. Der Transfer auf den beruflichen Kontext gelingt nachhaltiger, wenn das Lernen im Alltag stattfindet. Der Klick in den Lernraum lässt viele teilnehmen, die Anreisewege oder -kosten scheuen. Die fehlende Gruppendynamik intensiviert den Lernprozess für die Einzelnen. Die Pausengespräche oder langen Abende auf der Hütte fallen weg. Ich höre mir nicht die Lebensgeschichten anderer an, beschäftige mich nicht so viel damit, wen ich mag und wen nicht, wer mit wem, wo sich Koalitionen bilden. Ich bin auf mich geworfen, der Austausch mit anderen findet immer zum Thema statt, er ist genauso tief wie ein privates Gespräch, aber ich halte dadurch den Fokus und bin tiefer im eigenen Prozess.

Entscheidend für die Wirkung ist hier das Design. Online heißt nicht Bildschirm! Das Lernen findet genauso auf sämtlichen Ebenen statt. Die Teilnehmenden sind in der Natur, in Bewegung, nutzen den Körper, arbeiten im Raum, zu zweit, zu dritt, draußen am Telefon. Der Computer ist nur die Plattform, der Bildschirm wird dort genutzt, wo er Mehrwert bringt – zum Beispiel für einen Input im Plenum.  

Vier Design-Prinzipien für virtuelle Workshops

Was heißt das für Ihre Arbeit? Vor allem wenn Sie zoom-fatigue sind – was können Sie daraus mitnehmen? Probieren Sie diese vier Design-Prinzipien für Ihren nächsten virtuellen Workshop aus:

1. Lösen vom Bildschirm:

Foto: Simon Lehmann, Pixabay

Welches Element Ihres Workshops geht wirklich NUR am Bildschirm? Wo passt eine Solo-Einheit für jeden gut in den Prozess? Wo können Sie die Gruppe anders vernetzen, zum Beispiel über Handy-Messenger? Welche Break-Out-Session lässt sich auch bei einem Spaziergang draußen mit Handy und Headset zu dritt machen? Wagen Sie sich Schritt für Schritt mit Ihrem Team oder Ihren Teilnehmenden vom Bildschirm weg und beginnen Sie virtuoser zu werden in der Kombination der Settings.

2. Erfahrung ermöglichen:

Welche Ihrer Inhalte lassen sich noch besser durch Erfahrung vermitteln? Wo bringen Sie einen Theorie-Input später und setzen vorher eine Aufgabe oder Auseinandersetzung, in der die Teilnehmer sich durch Erfahrung und Reflexion dem Thema nähern, so dass Sie den Input am Schluss nur noch ergänzend dazu stellen? Wenn es zum Beispiel um Führungsentwicklung geht, könnten Sie eine Gruppenübung entwickeln, die jedem den individuellen Führungsstil erfahrbar und damit sichtbar macht. Oder Sie nutzen die Natur für Symbol- oder Lebensweg-Arbeit zum Thema Führungsbilder.

In einer Teamentwicklung können Sie eine Aufgabenstellung einsetzen. Die Teilnehmenden können zum Beispiel etwas in einem virtuellen Kollaborationstool bauen oder auch draußen an verteilten Plätzen in einem gemeinsamen Projekt. Diese Erfahrung macht anschließend fürs Team beobachtbar, was typische Muster sind in der Kommunikation, Entscheidung, der Führung, der Nutzung von Ressourcen und Potenzial. Die Aha-Effekte bei solchen Aufgaben sind enorm, weil plötzlich so sichtbar vor Augen liegt, was man rein kognitiv nicht hätte in Worte fassen können oder auch nicht hätte wahrhaben wollen.

3. Natur nutzen:

Foto: Milada Vigerova, Pixabay

Auch wenn Sie nicht wissen, wo Ihre Teilnehmer während des Workshops sitzen – im Homeoffice, im Büro, im Ferienhaus, in der Großstadt oder in der Vorstadt – schicken Sie sie trotzdem nach draußen. Die Umgebung ist überall reich an „Material“, mit dem Sie arbeiten können:

  • Rausgehen mit einem Thema (zum Beispiel Resilienz) und dafür ein Symbol suchen, dass man ins Plenum zurückbringt.
  • ein Intuition Walk draußen mit einer Frage, die an dem Punkt im Workshop gerade relevant, aber nicht kognitiv zu beantworten ist (Beschreibung siehe Webtipps) und dessen Eindrücke anschließend erst zu zweit, dann zu viert und später wieder im Plenum verdichtet werden.
  • Einzelarbeit zu den Stationen eines Weges (z. B. Führungsbiografie, Lebensweg des Teams oder eines Produkts, Entwicklung eines Konflikts) für den draußen aufeinanderfolgende Symbole bestimmt werden (z. B. Bäume, Pflanzen, Steine, Holz oder Autos). Die Reflexion in Bewegung gewinnt Tiefe durch die „Repräsentanten“, die gewählt werden. Ich kann den Weg dann bewusst nochmal durchgehen und erleben und anschließend zu zweit oder dritt die Erfahrung auswerten.

4. Methoden mischen

Nutzen Sie Körperübungen, die zu einem Thema hinführen (z.B. Widerstand, Kommunikation, Konflikt, Leiten, Vision). Das ist virtuell leicht möglich – alle können aufstehen, den Stuhl wegschieben und sich Platz verschaffen, um mitzumachen. Nutzen Sie für die Teilnehmenden analoge Elemente wie Mal- und Zeichenstifte auf Papier, Knetmasse oder, Lego. Alles kann vorher zugeschickt oder besorgt werden. Auch Aufstellungen mit Stühlen im Raum kann jeder mit Anleitung durchführen. Sorgen Sie für die Chance auf informelle Begegnung – zum Beispiel mit Tools wie wonder.me oder topia.io, wo Sie sich mit Avataren frei bewegen und wie bei einer Party durch die Räume gehen und plaudern können. Ich habe lang nicht so viele Tränen gelacht, wie beim gemeinsamen Abend im spontan ausgerufenen „truth or dare“-Raum auf wonder.

Uns allen werden noch hundert andere Ideen kommen, wie wir Online-Outdoor-Settings gestalten! Die Neugier wird dabei die beste Lehrerin sein, wenn wir uns von der Idee verabschieden, dass Online-Workshops am Bildschirm stattfinden.

Webtipps

Details zu den Integrativen Outdoor Aktivitäten® und der Ausbildung unter www.ioa.at
Die Anleitung für den Intuition Walk: https://www.purpose-driven.world/tools/intuition-walk/
Der Link zur erwähnten Studie: https://www.franziskafink.com/wp-content/uploads/2021/05/Studie-Online-Outdoor.pdf
Die Seminare am Berg und am Bildschirm www.franziskafink.com

Franziska Fink - Foto: A. Chitzasan
Franziska Fink
Partnerin , Beratergruppe Neuwaldegg | Website

Franziska Fink ist Unternehmensberaterin, Coach, Autorin und Partnerin der Beratergruppe Neuwaldegg in Wien. Sie ist auf das Thema Purpose in Organisationen spezialisiert. In ihrer Arbeit mit internationalen Unternehmen hat sich das Thema Sinn als ein Hebel für zukunftsfähige Organisation gezeigt. Noch bevor Purpose zum Mode-Thema im Management wurde, hat sie mit dem Konzept der Purpose Driven Organization ein fundiertes Framework für agile Organisation entwickelt. Es zeigt, in welchen Unternehmensbereichen Purpose Sinn macht und wie man ihn nachhaltig implementiert.

 

 

 

Franziska Fink

Franziska Fink ist Unternehmensberaterin, Coach, Autorin und Partnerin der Beratergruppe Neuwaldegg in Wien. Sie ist auf das Thema Purpose in Organisationen spezialisiert. In ihrer Arbeit mit internationalen Unternehmen hat sich das Thema Sinn als ein Hebel für zukunftsfähige Organisation gezeigt. Noch bevor Purpose zum Mode-Thema im Management wurde, hat sie mit dem Konzept der Purpose Driven Organization ein fundiertes Framework für agile Organisation entwickelt. Es zeigt, in welchen Unternehmensbereichen Purpose Sinn macht und wie man ihn nachhaltig implementiert.      

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