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Ist Transformation nur Change im neuen Look?

Transformation ist „in“, denn Change klingt mittlerweile wirklich abgewohnt, finden Sie nicht? Noch dazu wo Change-Prozesse selten das einlösen, was vorausblickende Führungskräfte erhoffen. Studien zufolge scheitern ja bekanntlich mehr als 70 Prozent der hoffnungsvoll begonnenen Veränderungsprojekte. Wäre da Transformation eine bessere Antwort? Oder ist Transformation nur Change im neuen sprachlichen und methodischen Design? Falls es jedoch mehr als ein cleverer Marken-Relaunch verkaufstüchtiger Berater wäre, wann passt welches Konzept und welche Unterschiede bestehen?

Change: Anpassen und Lernen, um ans Ziel zu kommen

Change-Prozesse kann man als geplante organisationale Adaptions- und Lernprozesse verstehen. Sie sind auf ein bekanntes Ziel, ein erwünschtes Ergebnis hin strukturiert. Für diesen aus Sicht der Impulsgeber sinnvollen Sollzustand leiten sie Lerninhalte wie Kompetenzen, Einstellungen oder neue Werte ab und verpacken sie teilnehmergerecht. Parallel verändern sie Strukturen, Systeme und Prozesse.

Dies geschieht in der Hoffnung, dass die Verantwortlichen mit dem postulierten Ziel Recht behalten und die geplanten Veränderungen Probleme lösen oder dazu beitragen, die wünschenswerte Ziele (mehr Gewinn, schnelleres Wachstum, adaptive Modernisierung) zu erreichen.

Also planen Unternehmen neue Aufbau- und Ablauforganisationen, sie realisieren Funktionsprofile, implementieren Technologien und irritieren die Organisationskultur konstruktiv. Nicht zu vergessen sind die Auswirkungen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Sie werden ge- und verschoben, eingestellt oder abgebaut. Die nötigen Veränderungs- und Lernschritte setzen die Verantwortlichen mechanistisch oder systemisch um, also „old school“ nach dem Entwicklungsverständnis „Unfreeze, Change, Refreeze“.

Spätestens seit den 1980er-Jahren sind iterative systemische Lernprozesse, die auf Reflexion und Rückkopplung basieren, „State of the Art“. Unternehmen machen Veränderte werden zu Beteiligten, ja Akteuren.  Die laufende Rückkopplung von gewonnenen Umsetzungserfahrungen dient dabei als Motor und Angelpunkt systemisch inspirierter Lern- und Veränderungsarchitekturen.

„Single Loop Learning“ als erste Ebene bezeichnet dabei die Reflexion und Optimierung eingesetzten Verhaltens, der verwendeten Techniken und Werkzeuge. Eine Reflexionsebene tiefer reicht das „Double Loop Learning“. Es umfasst das Erkunden mentaler Modelle und implizierter Werte, die in Entscheidungen und Lösungsansätzen sichtbar werden. Der Blick auf die meist implizite Mission, die Unternehmensidentität einer Organisation ist die gewichtigste und gleichzeitig seltenste Ebene der Reflexion und Rückkopplung in Change-Prozessen (Deutero Learning).

In der Change-Praxis dominieren Mischformen. Der Rückfall zu autoritär-mechanistischen Konzepten passiert meist, wenn es schnell gehen muss und zwangsbeglückte Change-Kandidaten nicht erwartungsgemäß reagieren und funktionieren.

Doch egal wie viele Loops auf welchen reflexiven Tiefen gedreht werden und welches Entwicklungsverständnis Unternehmen wählen, es bleibt die Adaption auf ein bekanntes Ziel in einem bekannten Wirklichkeitsrahmen. Worin unterscheidet sich das von Transformation?

Transformation: Die Neuerfindung der Wirklichkeit

Auch wenn Methoden und Formate von außen ähnlich wirken, unterscheiden sich Auslöser, Prozess und hilfreiche Bedingungen zwischen Change und Transformation fundamental.

Denn der Prozess der Transformation ist keine Anpassung, Optimierung oder Entwicklung auf ein bekanntes, ja denkbares Ziel hin. Transformativer Wandel bedeutet den Übergang von der Wirklichkeit eines Entwicklungsbogens zur nächsten, verbunden mit der Fähigkeit, den neu entstehenden Möglichkeitsraum zu nutzen. Transformative Übergänge sind radikale gedankliche Neuordnungen, eine Neuerzählung von Wirklichkeit inklusive der Rolle, ja Identität der erzählenden Person beziehungsweise der Organisation darin.

Erst wenn dieses radikale Neuverstehen der Welt gelingt, können wir davor noch undenkbare neue Ziele am Horizont ausmachen, weil denken. Die radikal neuen Visionen dienen als Zielmarke für die häufig in der Folge erforderlichen Change-Vorhaben. Problematisch ist dabei, dass die nun zur Veränderung Aufgeforderten den unerlässlichen Bewusstseinssprung nicht mitvollzogen haben, wenn sie nicht Teil der Reise, der Expedition hinter den Horizont des Bisherigen und den Beginn einer neuen Epoche waren.

Eine Epoche ist alles, was die Wirklichkeit und Identität der Wahrnehmenden für einen bestimmten Zeitabschnitt bestimmt, formt und natürlich auch beschränkt. Eine solche Ära oder ein Paradigma kann sehr unterschiedliche Entwicklungsbögen beschreiben. Zum Beispiel, wenn eine neue Technologie, eine bestimmte Wirtschaftspolitik oder ein gesellschaftliches Umfeld ein neues Welterleben erzeugt.

Aber auch ein durch ein „epochales“ Ereignis abgegrenzter Zeitabschnitt in der impliziten Geschichtserzählung einer Organisation ist eine Entwicklungsepoche, eine Ära mit einer unbewussten, aber wirksamen internen Wahrheit, mit Anfang, Wachstum, Höhepunkt, Niedergang und Ende.

Epochaler Wandel ist nicht von der Dauer oder dem Ausmaß objektiver Konsequenzen des Übergangs charakterisiert, sondern von der erfolgreichen Auflösung und Neuerzählung des bisherigen Welt- und Selbstverständnisses einer Person, Organisation oder Gesellschaft.

Zeichen lesen können und auch dürfen

Erfolg hat, wer eine Situation lesen und das dafür angemessene Konzept, also Change oder Transformation, einsetzen kann und auch darf (!).

Allzu oft münden Unwissenheit über die Unterschiede zwischen Change und Transformation, Fehlinterpretation der Ausgangssituation oder schlichte Verweigerung zu kostspieligen und wirkungslosen Change-Projekten.

Die heutige als VUCA (volatile, uncertain, chaotic and ambigous) charakterisierte Welt ist ein Signal für epochale Umbruchssituationen. Die damit verbundenen Krisen bestehen laut dem Schriftsteller, Politiker und Philosophen Antonio Gramsci darin, „dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann.“ Genau das beobachten wir heute.

Aktuell kommen große epochale Entwicklungsbögen an ihr Ende, etwa das über 250 Jahre andauernde Zeitalter des ungebremsten, auf fossile Energie und grenzenloser Ausbeutung basierenden wachstumsorientierten Kapitalismus. Die Anzeichen in Form der Klimakrise und des vielgestalteten ökologischen Kollaps sind unübersehbar. Der neoliberale Finanzturbokapitalismus, der viele Errungenschaften der Marktwirtschaft pervertiert, beschleunigt diese paradigmatische Erneuerung. Als Brandbeschleuniger wirkt die Corona-Disruption. Sie macht die Konsequenzen der einseitigen Kostenminimierung und Privatisierung schmerzvoll erkennbar. Auch das mehr als 10.000 Jahre währenden Zeitalters der lokalen Lebensweise (im Gegensatz zur nomadisierenden) geht zur Ende. Denn die Digitalisierung die Bedeutung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit zunehmend aufhebt. So geraten staatliche Gesetzgebungen, nationale Steuern, Präsenzarbeitskonzepte oder stationäre Vertriebswege ins Schlingern.

Die zentrale Frage in dieser Zeit der Umbrüche ist daher, wo Change für eine Fragestellung wirklich noch angemessen ist? In welchen Fällen müssen wir die aktuellen Denkgebäude, die meist ebenso die Ursache des Problems sind, zurücklassen, um den Blick in Richtung Neuland freizugeben? Denn wie Albert Einstein sagte: “Probleme (…) können nicht mit den gleichen Denkweisen gelöst werden, die sie erzeugt haben.”

Klimakrise, Ökozid, Digitalisierung, das Ende des Kapitalismus, geht es auch ein bisschen kleiner? Ja und nein. Denn viele scheinbar kleine Probleme entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Symptome größerer, eben epochaler Umbrüche. Das sind eigentlich gute Nachrichten. Denn Transformation zielt ja nicht auf die „Rettung“ der Welt als Ganzes ab. Vielmehr geht es darum, die Perspektive weiter aufzuspannen und den Freiraum, den diese Übergänge bedeuten, auszuloten und das darin verborgene Potenzial zu entfesseln.

Das Ende fataler Verwechslungen

Die oft fehlende Unterscheidung der beiden Konzepte setzt sich meist bei der Umsetzung fort. Mit fatalen Folgen. Denn der Prozess transformativen Übergangs und die korrespondierenden emotionalen und inhaltlichen Herausforderungen unterscheiden sich fundamental. Noch dazu sind sie im wirtschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Kontext meist weitgehend tabuisiert.

Wie die vielfach ungewohnte Reise hinter den Horizont gelingt und wie Sie sich auf den Sprung ins Undenkbare vorbereiten können, sind Themen kommender Beiträge.

Bis dahin können Sie jedoch gleich beim nächsten Problem oder geplanten Veränderungsvorhaben Ihre Transformationskompetenz stärken. Halten Sie einfach inne und stellen Sie sich vor dem gewohnten Problemlösungsreflex folgende Fragen:

Experiment: Change oder epochale Transformation?

  1. Warum entsteht dieses Problem/diese Anforderung überhaupt? Dringen Sie weiter zum Kern vor, indem Sie die Antworten erneut dieser Frage unterwerfen und wiederholen Sie diesen Vorgang mindestens fünf Mal.
  2. Welche Hoffnung verbinde ich mit einer potenziellen Lösung?
  3. Warum ist diese Lösung nicht nur mehr vom selben (Problem) und verzögert daher den nötigen Wandel?
  4. Welches epochale Ende könnte hier stattdessen sichtbar werden?

Ich wünsche Ihnen spannende Erkenntnisse. Bis bald, Rainer Peraus

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Rainer Peraus

Geschäftsführender Gesellschafter bei Youtopia Group
Rainer Peraus ist Experte für Transformation, Speaker, Berater und geschäftsführender Gesellschafter der Youtopia Group. Er begleitet Unternehmen in Phasen der Erneuerung und hilft bei deren Neuerfindung des Möglichen. Als Redner verbindet er seine langjährige Erfahrung mit radikalen Thesen zu provokanten Impulsen. Diese führen aus der Komfortzone mitten ins Potenzial der neuen Zukunft.